Essen. Der Film „Kulenkampffs Schuhe“ beleuchtet die Biografien der 70er-Jahre-Entertainer. Eine exzellente Spurensuche in der Nachkriegszeit.

Wenn man ein charakteristisches Bild von der deutschen Durchschnittsfamilie der Sechziger- und Siebzigerjahre zeichnen will, dann sieht es vermutlich so aus: Alle hocken am Samstagabend vor dem Fernseher, die Kinder frisch gebadet, Mutter mit einem Glas Wein in der Hand, Vater mit einem Bier, und freuen sich auf die großen Quizsendungen und Shows. Vor allem auf die mit Hans-Joachim Kulenkampff („Einer wird gewinnen“) und Peter Alexander, später auch die mit Hans Rosenthal („Dalli Dalli“).

Die Regisseurin Regina Schilling (56) gehörte zu den Kindern jener Tage, die geprägt wurden von diesem immer gleichen Ritual und dessen Heimeligkeit. Ihr Essayfilm „Kulenkampffs Schuhe“ erzählt davon – und auch von der Geschichte ihrer eigenen Familie. Vor allem aber interessiert sie all das, was sie damals vor dem Fernseher noch nicht erkennen konnte.

Etwa, wie die stets gut gelaunten Showmaster mit all dem fertigwerden, was sie als aktive Kriegsteilnehmer erlebt haben müssen. Etwa Kulenkampff, der sich an der Ostfront vier erfrorene Zehen eigenhändig amputierte. Oder Peter Alexander, der erst Flakhelfer war und sich dann zur Marine meldete. Ganz zu schweigen von dem Juden Hans Rosenthal, der sich während des Krieges in einer Berliner Laube verstecken musste.

Film zeigt auch andere Seiten von Kulenkampff und Co.

Schilling hat mit großem Elan die Archive durchforstet, um nach Stellen zu suchen, in denen der Verdrängungs- und Vergnügungsapparat Fernsehen, wenn auch nur leise, von seinen Helden torpediert wird. Sie entdeckt tatsächlich eine Szene bei Kulenkampff, bei der landestypische Spirituosen zugeordnet werden müssen. Mit einer Flasche Wodka in der Hand erinnert sich „Kuli“ plötzlich, dass dies das einzige Mal sei, „an dem ich es nicht bereue, in Russland gewesen zu sein“.

Selbst der dauerlächelnde Peter Alexander wird einmal sentimental und besingt die Nachkriegszeit: „Wohnung steht nur zum Teil, doch die Knochen, die sind heil.“ Hans Rosenthal übt den sanften Aufstand: Als das ZDF ihn zwingt, die 75. Ausgabe von „Dalli Dalli“ ausgerechnet an dem Tag zu moderieren, an dem erstmals in Deutschland der Pogromnacht gedacht wurde, tritt der Entertainer im ungewohnten schwarzen Anzug auf, lässt Opernsänger auftreten und nennt am Ende erstmals und ganz dezidiert das Datum der Sendung.

Parallele zum Vater der Regisseurin

Auch die Familie der Regisseurin gerät ins Blickfeld. Denn Schillings Vater, ein Drogist, war ebenfalls im Krieg, erzählte jedoch nie etwas darüber. Schilling schafft es, den Bogen zu spannen von den Showgrößen zu dem Aufstieg und Fall ihres Vaters, der viel zu viele Erinnerungen und Sorgen in sich hineinfrisst, um schließlich, nach einem zweiten Herzinfarkt, zu sterben. Die Tochter entlässt uns aus diesem wunderbar gelungenen Film noch mit einem denkwürdigen Nachschlag. Martin Jente, Kulenkampffs ewiger Butler, war 1933 eines der ersten Mitglieder der SS.

Fazit: Exzellente Spurensuche hinter der Fassade der großen Fernseh-Entertainer.

ARD, Mittwoch, 8. August, 22.30 Uhr