Essen. In der ZDF-Reihe „37 Grad“ werden Menschen portraitiert, die Angehörige durch Suizid verloren haben. So gehen sie mit dem Schmerz um.

Die ersten Sätze stammen von Christel (73). Ihr Mann hatte sich vor acht Jahren das Leben genommen. Noch immer fragt sie sich, ob sie ihm hätte helfen können: „Warum hat er nichts gesagt?“ Da ist es, dieses Warum, das sie den Rest ihres Lebens begleiten wird, seit der Gatte den radikalen Schlussstrich unter 40 Ehejahre gezogen hat.

Vom Leid der Betroffenen und ihren Angehörigen erzählt die ZDF-Reihe „37 Grad“. Die Autorinnen Caroline Haertel und Mirjana Momirovic haben drei Menschen ein Jahr lang begleitet, die einen schweren Verlust hinter sich haben.

Jahrelang vom Vater misshandelt

Auch die Geschichte Gabriels berührt: Er weiß immerhin, dass sein jüngerer Bruder unter Depressionen litt, aber ein Trost ist auch das nicht. Die beiden Brüder wurden jahrelang vom Vater misshandelt, ehe ihnen die Flucht aus dem Elternhaus gelang. Gabriel hat einen weiteren Bruder; der gegenseitige Trost der beiden jungen Männer gehört zu den intensivsten Momenten des Films.

Während die Reihe ihre Protagonisten sonst oft gern als Einzelfälle betrachtet, haben Haertel und ­Momirovic dafür gesorgt, dass ihr Film über sich hinausweist. Experten oder Sachverständige sind bei „37 Grad“ eigentlich verpönt, aber offenbar hat auch die Redaktion eingesehen, dass es bei diesem Thema viele Zuschauer geben wird, die Ähnliches erlebt haben und sich von der Reportage Hilfe versprechen. Deshalb kommen auch Trauerbegleiterinnen zu Wort, die ebenfalls geliebte Menschen verloren haben. Sie raten dazu, offen mit dem Schmerz umzugehen.

Blick geht nach vorn

Was Miriam (43) aus der Seele spricht. Noch ganz frisch ist die Wunde bei ihr; zu Beginn der Dreharbeiten war es nicht einmal ein Jahr her, dass sich ihr Mann erhängt hatte. Wenn die Betroffenen angstfrei über ihre Trauer sprechen, haben ihre Freunde den Mut, das ebenfalls zu tun, wie Miriams Freundinnen bestätigen. Sie sind dankbar dafür, „ein bisschen Licht“ in Miriams Leben bringen zu dürfen: Damit sich zur Trauer nicht auch noch Einsamkeit gesellt.

Natürlich soll die Sendung auch Mut machen; nichts wäre fataler als die Botschaft, dass es kein Entrinnen aus der Düsternis gibt. Für den Blick nach vorn steht vor allem die dritte Ebene mit Miriam. Sie erzählt, wie befremdlich sie es fand, dass ihre Wohnung – wie immer bei nicht natürlichen Todesfällen – von der Polizei wie ein Tatort behandelt wurde.

Polizist als rettender Engel

Als eine Art rettender Engel entpuppte sich aber einer der Polizisten, der ihr stundenlang zur Seite stand und ihr Trost spendete. Diesen Beamten hat sie ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes aufgesucht, um ihm zu danken; eine ­weitere schöne Szene, zumal Poli­zisten so etwas offenbar nicht oft widerfährt.

Die Reportage ist handwerklich vorbildlich gemacht: Die Kameraarbeit (Reiner Bauer, Johannes Denk) ist angenehm zurückhaltend und verhindert auf diese Weise einen Effekt, der bei Reportagen dieser Art sehr oft auftritt.

Die Autorinnen stellen gegen Ende die Selbsthilfeorganisation Freunde fürs Leben vor (https://www.frnd.de), deren Gründerin energisch dafür plädiert, gesellschaftlich viel offener über Suizid zu sprechen.

Fazit: Eine sensible Reportage über ein schwieriges Thema. Bewegend wie informativ.

K „37 Grad“, ZDF, Dienstag, 5. Juni 2018, 22.15 Uhr

• Anmerkung der Redaktion: Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.