Essen. Ein anspruchsvolles Dokudrama im ZDF würdigt den großen Denker Karl Marx zum 200. Geburtstag. Was erwartet den Zuschauer dabei genau?

Unter all denen, die wir von Luther bis Goethe so gern „große Deutsche“ nennen, ist die Biografie des Trieres Karl Marx im öffentlichen Bewusstsein vielleicht mit den meisten Leerstellen versehen. Zu übermächtig die Wirkung seines Denkens, zu folgenschwer die vielfach missglückte Verwirklichung seiner Utopie, als dass sie noch Raum gelassen hätte für den Menschen Marx.

Die ihm zugeschriebene Sentenz „Alles, was ich weiß, ist, dass ich kein Marxist bin“, erhielt eine nachgerade kuriose Bedeutung: Der Marxismus hatte die Wucht, weite Teile der Allgemeinheit vergessen zu lassen, wer Karl Marx (1818–1883) eigentlich war.

Wie könnten die blutigen Schrecken der Oktoberrevolution, die menschenverachtenden Schikanen Maos oder das vertrocknete Apparatschik-Dasein der DDR uns auch schließen lassen auf einen zartbesaiteten Romantiker? Einen Träumer, einen politisch Verfolgten oder einen chaotischen Kauz, der den Kapitalismus geißelte und zugleich im Umgang mit Geld so hilflos war, dass bis zum Ende Arzt- und andere Rechnungen gingen an „Friedrich Engels, London“?

Mehr als Historien-Häppchen

Tochter (Sarah Hostettler) und Vater Marx (Mario Adorf) unternehmen einen Spaziergang.
Tochter (Sarah Hostettler) und Vater Marx (Mario Adorf) unternehmen einen Spaziergang. © ZDF und Julie Vrabelova | Julie Vrabelova

Dem ZDF ist Marx’ Geburtstag, der sich Samstag zum 200. Mal jährt, einen Hauptsendeplatz wert. Sie nennen es „Dokudrama“, doch was leicht reißerisch nach Knopps Historienhäppchen klingt, ist ein anspruchsvoll montiertes Lebensbild. Peter Hartl (Buch) und Christian Twente schaffen ein Kaleidoskop, das die Vita eines Unbequemen vom stinkenden Londoner Exilanten-Leben (Marx’ Söhnchen „Musch“ wird dort an der Cholera sterben) bis zu Abgründen des Privaten weder reißerisch noch aufregend, dafür einfühlsam und gewissenhaft mit Farbe versieht.

Solche Szenen gehören Mario Adorf. Teuer besetzt, trefflich besetzt: Adorf (87!) ist der greise Marx, verzweifelt humorvoll, frei von Pathos im melancholischen Blick auf die schlechte Welt, doch den Glauben an den Aufbruch der Massen nicht verlierend.

Den alten Mann, dessen Popularität zu dieser Zeit kaum noch der Rede wert war, zeichnet Adorf zugleich, wie Zeitgenossen ihn erlebten: halsstarrig, kompromisslos, ein schlechter Verlierer – nicht nur beim Schach.

Abgefackelte Regenwälder und smogverseuchte Metropolen

Die Lebensbilder (Kamera: Martin Christ), aus der Sicht von Marx’ Tochter Eleanor erzählt, sind in staubhelle Patina getaucht. Durchsetzt sind sie – neben Einschätzungen führender Biografen – von historischem Material: Fotografien aus dem Alltag unwürdigster Arbeit.

In einem Punkt aber wagt sich „Karl Marx – der deutsche Prophet“ in seiner Machart, die Sensationslüsterne behäbig nennen könnten, weit vor. Anfang und Ende dieser 90 Minuten sind aktuelle Bilder, die Marx’ zentrale Botschaften zum Kommentar unserer Zeit machen.

Wir sehen die Apokalypse abgefackelter Regenwälder und smogverseuchter Metropolen und lesen: „Nach uns die Sintflut ist der Wahlspruch jedes Kapitalisten.“ Und zum Tanz ums goldene Börsenkalb samt Lehman-Crash: „Alle kapitalistischen Nationen ergreift periodisch ein Schwindel, den sie zur Geldmacherei frei von lästiger Produktion nutzen.“ Wer das ges­trig findet, schalte morgen ein.

Fazit: Bildungsfernsehen, das sich Zeit nimmt und Ansprüche stellt. Eine Seltenheit.

Mittwoch, 2. Mai, ZDF, 20.15 Uhr