Berlin. Kino- und Fernsehzuschauer lieben Historiendramen. Und so bedient das Etikett „Nach einer wahren Begebenheit“ nicht nur die Sehnsucht nach Authentizität und den Mythen des Alltags bei Zuschauern, nach den „Geschichten, die das Leben schreibt“. Es lässt auch gewaltig die Kassen der Sendeanstalten und Produktionsfirmen klingeln. Endlich entspringt das Leiden der Figuren nicht dem Hirn irgendwelcher Autoren, nein, es wurde wahrhaftig geliebt, gelitten oder gestorben.
Deutschland und seine an einmalig dunklen Episoden nicht arme Geschichte bietet sich besonders an für diese prickelnde Mischung aus Unterhaltung und Geschichtsstunde. Weltkriege, eine geteilte Nation, RAF – alles hundertfach filmisch aufgearbeitet.
Jetzt also „Gladbeck“, das zweiteilig verfilmte Geiseldrama, dessen Jahrestag sich 2018 zum 30. Mal wiederholt: Sandra Maischberger wollte nach der Ausstrahlung des ersten Teils mit ihrer Runde aus Journalisten, Polizisten von damals und einem Opfer der Geiselnahme aufarbeiten.
Haarsträubende Fehler von Polizei und Presse
Da sitzt der Gefängnisarzt Joe Bausch (auch bekannt als Rechtsmediziner aus dem Kölner „Tatort“) neben der echten Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen – beim damaligen Gerichtsprozess gegen die Geiselnehmer Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner war sie dabei. Auch Johnny Bastiampillai war live dabei, allerdings als Siebenjähriger: Er war eine der Geiseln. Zwei Journalisten von damals, Ulrich Kienzle und Manfred Protze sowie der amtierende NRW-Polizeichef Bernd Heinen füllen die Runde unter dem Titel „Das Gladbecker Geiseldrama: ein ewiges Trauma?“.
Diskutiert werden soll über die haarsträubenden Fehler, die der Polizei in großer Anzahl passierten. Aber auch über das Jagdfieber der Journalisten, die auf offener Straße Interviews mit den Geiselnehmern Degowski und Rösner führten, die Kameras auf die von ihrer eigenen Bedeutsamkeit sichtlich verzückten Geiselnehmer richteten und so weit gingen, den Kriminellen ihre Hilfe anzubieten. Hier hat sich offenbar eine irre Sensationsgier Bahn gebrochen. Die Maischberger-Runde wollte im Rückblick klären, warum das wohl geschah – und ob es wieder geschehen könnte.
Hätte es 1988 schon Smartphones gegeben
Was von der Runde übersehen wird: Wir leben längst in einer Welt, in der genau dies passiert, nur dass es keiner Medienvertreter mehr bedarf, die für diese Grenzübertritte Codices verletzen müssen. Facebook live ist dabei, egal ob Verbrechen begangen werden oder sich jemand nur wichtig machen will. Auf die Gladbeck-Geiselnehmer traf beides zu. Hätte es damals schon Smartphones gegeben, hätten Degowski und Rösner wahrscheinlich live an ihren Youtube-Channel gestreamt.
Es mutet absurd an, dass Maischberger das Verhalten der Presse im Gladbeck-Fall mit den Schaulustigen eines Unfalls vergleicht, die unverhohlen glotzen, gleichzeitig jedoch in einem sehr ähnlichen Modus Operandi auf Johnny Bastiampillai einwirkt, der die Geiselnahme als Kind erlebte. „Wo haben Sie im Bus gesessen? Wie war die Stimmung im Bus? War das eine ruhige Atmosphäre? Konnten Sie raus auf die Toilette?“, sind nur einige der Fragen, mit denen Maischberger in bester Absicht das Geschehen zu rekonstruieren versucht.
Auch Maischberger bedient Sensationslust
Gleichzeitig bedient sie genau diese Sensationslust, die die Runde doch eigentlich kritisch beleuchten soll. Die Schilderungen sowohl von Bastiampillai als auch von Polizeichef Heinen wecken die Faszination für den genauen Tathergang, sie lassen den Detektiv in uns gedanklich mit ermitteln.
Auch in den Kameraeinstellungen wird das zweigleisige Sendekonzept deutlich. Wenn etwa die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen von dem Zusammenbruch des Vaters der getöteten Geisel im Gerichtssaal erzählt, wird lange auf Bastiampillais Gesicht gezoomt, um keine seiner Regungen zu verpassen – müsste diese Schilderung doch schlimme Erinnerungen in ihm wecken.
Sollte Gladbeck tatsächlich ein „ewiges Trauma“ sein, wie Maischberger fragte, dann liegt es wohl auch am Jubiläumskalender des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
• Die „Maischberger“-Sendung können Sie hier in der Mediathek sehen.
• Den ersten Teil der „Galdbeck“-Verfilmung gibt es hier. Der zweite Teil wird am Donnerstag, 8. März, ab 20.15 Uhr ausgestrahlt.
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