Berlin. Martin Schulz darf mit der Union über eine Regierung verhandeln. Bei „Anne Will“ gab er sich kämpferisch – und wirkte doch geschwächt.

Die SPD verhandelt doch wieder über eine große Koalition: Der Sonderparteitag der Sozialdemokraten hat dazu am Sonntag mit knapper Mehrheit den Weg frei gemacht. Es ist nur ein kleiner Sieg für Martin Schulz – denn der Parteichef ist nach dem Votum alles andere als erstarkt.

Die Partei mürrisch, die Wähler skeptisch, der potenzielle Koalitionspartner schwierig: Schulz stehen weiter schwierige Zeiten bevor. Am Sonntagabend stand er dazu auch bei „Anne Will“ Rede und Antwort.

Das Glaubwürdigkeitsproblem

In der Runde wurde vor allem deutlich, wie geschwächt Martin Schulz nach wie vor ist. Immer wieder musste er sich mit Blick auf seine Kehrtwende beim Thema GroKo fragen lassen, ob seine Positionen denn überhaupt glaubwürdig sind.

Wird er beispielsweise die Verhandlungen platzen lassen, wenn die von der SPD geforderten Nachbesserungen von der Union nicht akzeptiert werden? Auch nach mehrmaligem Nachhaken wollte sich Schulz auf dieses Spiel der Gastgeberin lieber nicht einlassen. Stattdessen blieb er defensiv: „Ich bin ziemlich sicher, dass wir die Härtefallregelung beim Familiennachzug bekommen werden“, sagt er schließlich. Ein selbstbewusster Parteichef klingt anders.

Schulz: GroKo ist besser als Neuwahlen

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    Das Problem mit der Verzwergung

    Doch es ist nicht nur die Wankelmütigkeit, die Schulz zu schaffen macht. Auch auf die zentrale Frage, wie er denn eine weitere Verzwergung der SPD in einer neuen großen Koalition verhindern wolle, hatte Schulz auch keine klare Antwort. Stattdessen flüchtete er sich in die Inhalte und zählte auf, was seine Partei in der Regierung alles erreichen könnte.

    Das ist gut und ehrenwert, doch zeigt die Erfahrung, dass Inhalte alleine nicht ausreichen, um neben der von Angela Merkel geführten Union zu bestehen. Die vergangene Regierungszeit ist dafür das beste Beispiel: Die SPD hat einige Kernanliegen durchgebracht – und ist bei der Bundestagswahl trotzdem abgestraft worden. Die Kritiker der GroKo wird Schulz so auch in den kommenden Wochen nicht überzeugen. Schlimmer noch: Am Ende könnten sie sogar Recht behalten, falls der Parteichef nicht doch noch ein geheimes Rezept gegen die Verzwergung in petto hat.

    Das Problem mit der Partei

    Überhaupt hat der Parteitag gezeigt, wie entfremdet die Sozialdemokraten mittlerweile von ihrer Führung sind. Das hat auch Schulz so wahrgenommen. „Es ist klar, dass da kein Enthusiasmus aufkommt“, sagte er in der ARD. Zugleich lobte er die Debattenkultur in der SPD – und sah sich durch das knappe Votum gestärkt: „Das war eine Richtungsentscheidung, ich glaube, ich gehe gestärkt in die Verhandlungen.“

    Das ist schon eine sehr optimistische Sicht, die verneint, was Schulz nach eigenem Bekunden selbst sieht: Dass sich viele Menschen im Land mittlerweile einen Aufbruch wünschen, der auch mit dem politischen Personal und den Inhalten zutun hat. „Es stimmt, dass die Leute etwas Anderes wollen“, räumte Schulz ein. Allerdings glaube er, dass man beides zusammenbringen können. „Wir wollen das kombinieren: Eine Neuausrichtung und das Land regieren.“ Ob das möglich ist?

    Fazit: Alle gegen Schulz

    Bei alle dem konnte einem Martin Schulz fast leid tun. In den vergangenen Wochen musste er viel einstecken, bei Anne Will ging es weiter: Die „Spiegel“-Journalistin Christiane Hoffmann hielt ihm vor, beim Parteitag viele Delegierte nicht erreicht zu haben. CDU-Mann Peter Altmaier kritisierte Schulz für seine zunächst so definitive Absage an eine Groko. Und FDP-Chef Christian Lindner freute sich diebisch daran, Schulz‘ Gerechtigkeitsprogramm mit der langjährigen SPD-Regierungszeit zu kontrastieren.

    Das alles ist nicht ohne Grundlage, doch muss man Schulz auch zugute halten, dass er es – im Unterschied zu Lindner und durchaus im eigenen Interesse – wenigstens ernsthaft versucht. Schließlich sind Neuwahlen, die gemeinhin als leichter Ausweg für die SPD angeführt werden, mit einigen Unwägbarkeiten verbunden: Nicht ohne Grund zwingt das Grundgesetz die Parteien dazu, bis zum Äußersten eine Regierungsbildung zu versuchen.

    „Ein Prozent von etwas ist mehr als 100 Prozent von nichts“, dieses Zitat bemühte Schulz auch bei Anne Will wieder. Trotz der staatspolitischen Räson, der die SPD heute einmal mehr genügt hat: Dieses Mal könnte sich die Weisheit als unzutreffend erweisen.

    Zur Ausgabe von „Anne Will“ in der ARD-Mediathek