Essen. Das ZDF zeigt seine Serie „Der Kriminalist“ erstmals in Spielfilmlänge. Eine eindringliche Studie am Abgrund der deutschen Metropolen.

Wie das so kommt, wenn man einer von der konstanten Sorte ist: Am Ende bleibt man übrig. Mehr als ein halbes Dutzend an Co-Ermittlern hat Christian Berkels Hauptkommissar Bruno Schumann kommen und gehen sehen. Er blieb: einsamer Wolf zwischen Friedrichshain und Kreuzberg, uncharmant beharrlich, ein Mann mit Rückgrat, diskretem Geschmack und einer Handbreit nächtlichem Whisky im Glas.

Seit 2006 ist Berkel Schumann und hat aus einem darstellerisch nicht allzu dankbaren Charakter, der in jedem Schmunzelkrimi geteert und gefedert würde, eine Bank für Qualitätskrimis zur Hauptsendezeit gemacht. Das ZDF, bei Mord allzu oft mit Biedermännern zur Stelle, bedankt sich zur Jahreswende auf seine Weise. Heute erhält „Der Kriminalist“ Ermittlungszeit in Spielfilmlänge.

Tote Jungs am Landwehrkanal

Die Toten liegen fast vor der Tür des LKA-Beamten Schumann: Jungs mit Milchbart fast noch, früh unter die Räder gekommen, selbst an der Nadel und als hilflose Kuriere und Verkäufer rund ums Kottbusser Tor auch in bitterster Winterkälte unterwegs – bis sie als Opfer einer Überdosis unter der Brücke liegen. Schumanns Spuren sichernde Eskorte zeigt wenig Ehrgeiz, darin mehr zu lesen als ein weiteres Blatt für die Akte Drogentod. Schumann weiß es besser.

Tofu, Mirko, Trippi: Drei, die seine Kinder sein könnten, alle am Landwehrkanal gefunden, alle im selben Wohnheim gelebt, das ist ein bisschen viel Zufall.

Und als einer aus seiner Truppe dies alles abstempelt („Junkies halt!“), fährt der Chef richtig aus der Haut: „Als wär’ das das Einzige, was nach dem Tod von drei Jungs übrig bleibt.“ „Die offene Tür“ hat in Züli Aladağ („Wut“) einen idealen Regisseur gefunden. Das unglaubliche Elend gestrandeter Jugendlicher erfasst er mit schonungsloser Härte, setzt auf das Gegenteil eines flott getakteten Drogen-Thrillers. Stattdessen sehen wir eine beklemmende, beunruhigend ruhevoll erzählte deutsche Großstadtballade.

Pistole in der bürgerlichen Besteckschublade

Das Grauen der Unentrinnbarkeit im Leben dieser Typen, die einmal unumkehrbar falsch abgebogen sind, taucht Roland Stuprichs Kamera in eiskaltes Graublau. Ihr Blick spielt raffiniert mit dem, was wir auf Augenhöhe nie sehen würden: aus der Vogelperspektive die Pistole in der bürgerlichen Besteckschublade, aus der Froschperspektive den verzweifelten Junkie Max, der auf einem Spielplatz sein Nachtlager sucht – und plötzlich zeigen die Seilmaschen ihn im todbringenden Spinnennetz.

Darstellerisch überstrahlt großes Licht kleine Schatten. Während Schumann mit seinem einst starken Team leider bei annähernd Unbegabten angelangt ist (schwach: Henriette Müller, Timo Jacobs), gibt der Film Ulrich Noethens dubiosem Junkie-Tröster Grützke die von Abgründen durchsetzte Bühne eines Kammerspiels. Minimalismus als Meisterschaft ist hier zu sehen.

Preisverdächtig erst recht der 25-jährige Leonard Kunz. Dem Absteiger Max, dem das Kottbusser Tor zum Höllenrachen wird, schreibt er mit todgeweihter Wucht so mörderische Verzweiflung ins Gesicht, dass es einem eiskalt dem Rücken hinunterläuft.

Fazit: Eindringlich-packende Studie am Abgrund unserer Metropolen.

Freitag, 29. Dez., 20.15 Uhr, ZDF