Berlin. Die Publikumsbeschimpfung des ProSieben-Sat.1-Chefs beweist, dass es die alte TV-Welt nicht mehr gibt. Sender müssen Qualität erhöhen.

Die Frage, die sich am Ende dieser Medienwoche stellt, lautet wie folgt: Sind die Zuschauer des klassischen linearen Fernsehens Modernisierungsverlierer? Sind sie die wahren Abgehängten dieser Gesellschaft?

In der TV-Branche hat man sich bisher noch nicht einmal getraut, über diese Frage laut nachzudenken. Doch seit Mittwoch ist alles anders. Da kam heraus, dass ausgerechnet Thomas Ebeling, der Chef von ProSieben-Sat.1, seine Zuschauer für „ein bisschen fettleibig“ und „ein bisschen arm“ hält. Gesagt hat er das gegenüber Finanzanalysten in einer Telefonkonferenz.

Fred Kogel wird als Nachfolger gehandelt

Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein erfahrener Top-Manager wie Ebeling einen solchen Satz einfach so raushaut. Er muss wissen, dass er Werbekunden verschreckt, wenn er die eigene Zielgruppe derart abqualifiziert. Nun gilt der 58-Jährige schon seit einiger Zeit als amtsmüde. Bereits vor einem Jahr kündigte er an, seinen 2019 auslaufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen. Vor einer Woche wurde bekannt, dass der Aufsichtsrat einen Nachfolger sucht. Womöglich wird Ebeling die Senderfamilie schon 2018 verlassen. Will er womöglich noch früher aus seinem Vertrag entlassen werden?

Als möglicher Nachfolger wird in Münchener Medienkreisen Fred Kogel gehandelt, der bis August Vorstandsvorsitzender der börsennotierten Constantin Medien war. Nicht wenige glauben jedoch, dass es auf einen Branchenfremden hinauslaufen wird. Schließlich hat Ebeling ProSieben-Sat.1 in den Dax geführt. In der deutschen Medienbranche gibt es aber kaum Manager, die Erfahrung mit der Führung börsennotierter Unternehmen haben.

Lassen sich Zuschauer lieber umsonst berieseln?

Doch zurück zu unserer Ausgangsfrage. Hat das gute alte Fernsehen, so wie wir es seit Jahrzehnten kennen, seine besten Tage hinter sich? Man muss keineswegs der Ansicht sein, dass klassische lineare TV-Programme nur noch etwas für Modernisierungsverlierer sind, um diese Frage zu bejahen. Die Digitalisierung, die schon so manchem Geschäftsmodell von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen massiv zusetzte, macht nun auch dem Fernsehen zu schaffen.

Es war ein französischer Analyst, der Ebeling in der Telefonkonferenz zu seiner mehr als unglücklichen Äußerung provozierte. Er hatte ihm vorgehalten, Online-TV-Plattformen wie Netflix gefährdeten das Geschäftsmodell seiner Sendergruppe. Der Verweis des TV-Managers auf die fettleibigen, armen ProSieben-Sat.1-Zuschauer, die sich lieber umsonst berieseln lassen, als ein kostenpflichtiges Netflix-Abo abzuschließen, sollte das Argument des Analysten widerlegen. Man könnte Ebeling sogar beispringen und behaupten, zumindest in Deutschland, wo man für Medieninhalte nicht so gern zahlt, müsse man nicht notwendigerweise fettleibig und arm sein, um zumindest einstweilen noch kein Netflix-Abo abzuschließen.

Programmqualität muss erhöht werden

Dennoch: Die TV-Online-Plattformen sind in der Welt. Sie wachsen – und zwar auf Kosten des klassischen Fernsehens. Einige Sendergruppen kommen mit dieser neuen Situation besser klar als andere. Die Sender von RTL Deutschland beispielsweise. Dort konzentriert man sich auf das Programm und schafft es so, Zuschauer und Werbekunden bei Laune zu halten.

Bei ProSieben-Sat.1 hatte man zuletzt nicht unbedingt den Eindruck, dass Kerngeschäft stehe im Zentrum aller Bemühungen. Es wurden allerlei digitale Firmen erworben, von einem Preisvergleichsportal über Internet-Reisebüros bis hin zu einem Online-Erotikversand, die mit Fernsehen nichts zu tun haben. Zugleich musste die Senderkette 170 Millionen Euro auf eingekaufte US-Serien und Spielfilme abschreiben, weil sie keiner mehr sehen wollte.

Nein, noch sind es nicht nur Modernisierungsverlierer, die Fernsehen gucken. Aber die Sender werden ihre Programmqualität erhöhen müssen, damit es noch lange so bleibt. Zugleich müssen sie in digitale TV-Projekte investieren, um für die Zukunft gerüstet zu sein.