Berlin. Der TV-Film „Götter in Weiß“ thematisiert krasse Hygienemängel in einem fiktiven Krankenhaus. Wie viel Realität steckt in dem Drama?

Millionen Fernsehzuschauer haben Mittwochabend den TV-Film „Götter in Weiß“ gesehen. In dem Thriller geht es um kriminelle Machenschaften einer Klinikleitung, der die Rentabilität des Krankenhauses wichtiger ist als das Wohl der Patienten. Es geht um das Verschweigen von multiresistenten Keimen, die sich durch Hygienemängel eingenistet haben. Um die stillschweigende Billigung von Gesetzesverstößen, um das Umgehen von Standards, die dazu da sind, Menschenleben zu schützen.

Wer mit dem Wissen im Fernsehsessel saß, demnächst einen OP-Termin im Krankenhaus vor sich zu haben, mag schon ruhiger geschlafen haben als letzte Nacht. Ganz sicher zeigt der Film nicht den Alltag in deutschen Krankenhäusern. Aber Fälle, in denen „Götter in Weiß“ jenseits aller Hygieneregeln operieren wie in dem Fernsehfilm, die gab und gibt es wirklich. Ein Abgleich von Fiktion und Realität anhand von einprägsamen Filmszenen.

• Ein Kind verunglückt mit dem Fahrrad – und schwebt nach einer Bein-OP plötzlich in Lebensgefahr. Kann aus einem Allerweltseingriff ein Überlebenskampf werden?

Ja. So wie Lea im Film kann es grundsätzlich jedem ergehen, der unters Messer muss – wenn die Hygienebestimmungen nicht eingehalten werden. Jede offene Wunde ist ein potenzielles Einfallstor für Krankheitserreger. Wenn Bakterien ins Blut gelangen, sorgen sie für eine Kettenreaktion, die von Fieber bis zu einer Blutvergiftung führen kann. Vor allem alte und geschwächte Patienten mit labilem Immunsystem sind gefährdet.

Besonders gefährlich sind multiresistente Erreger, gegen die es kaum noch Antibiotika gibt. Deswegen ist absolute Hygiene beim Personal und bei den medizinischen Instrumenten Pflicht, in jedem Operationssaal und auf jeder Station. Operierte Patienten sollten nur nach gründlicher Händedesinfektion und mit Mund-Nasen-Schutz versorgt werden. Bei der OP verhindern Schutzmasken, dass Keime beim Sprechen, Husten oder Niesen auf den Patienten überspringen. Künstliche, lange oder lackierte Fingernägel sind verboten. Ebenso tabu: Schmuck wie Ohrringe, Armreifen oder Uhren.

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    Auch auf den Stationen, in Patientenzimmern und auf den Gängen herrschen strenge Hygienerichtlinien. Das Infektionsschutzgesetz schreibt die Standards vor, die von jedem deutschen Krankenhaus erfüllt werden müssen.

    • Im Film entdeckt die Chirurgin Dreck am OP-Besteck. Klemmen und Skalpelle sind nicht sauber. Sie recherchiert und findet einen Zeitungsartikel. Die Schlagzeile: „Hygieneskandal: Dreckiges OP-Besteck gefährdet Tausende Patienten in Klinik“. Kann das sein? In deutschen Krankenhäusern?

    Leider ja. Im Uniklinikum Mannheim wurden jahrelang dreckige und verkeimte Instrumente für Operationen freigegeben. Verantwortliche wussten davon und schwiegen. Bis 2014 blieben verunreinigte Instrumente in Umlauf, trotz vieler Infektionen unter Patienten. Interne Akten dokumentieren dies. Bis zu 350.000 Patienten könnten am Ende mit unsauberen Instrumenten behandelt worden sein.

    Die Szene mit dem Dreck am OP-Besteck hätte in Mannheim tatsächlich gedreht werden können. Zum Beispiel am 30. Januar 2014: Da sollte in einem OP-Saal der Uniklinik der Schädel eines Patienten geöffnet werden. Doch das dazu benötigte Instrument war schmutzig. „Es ist grob mit Geweberesten, offensichtlich von der letzten Operation, verdreckt“, berichtete der Chirurg und schickte der Unternehmensleitung ein Foto.

    Das Bild zeigte ein verschmiertes, mit Körperfasern gespicktes Gerät. „Es wurde so von meinem OP-Team kurz vor einer Schädelöffnung in einem vermeintlich sterilen Sieb am 30.01.14 vorgefunden“, beschwerte sich der Chirurg. Und: Das sei nicht der erste Vorfall dieser Art.

    • Gibt es den Film-Keim wirklich?

    Ja. Und er zählt zu den gefährlichsten. Der Erreger Acinetobacter baumannii ist weltweit gefürchtet. In deutschen Kliniken brach er häufiger aus – mit dramatischen Folgen. Anfang 2015 infizierten sich 31 Patienten im Uniklinikum Kiel mit dem Keim, gegen den nur wenige Antibiotika wirken. 14 Erkrankte starben; elf Todesopfer seien ihren ursprünglichen Krankheiten erlegen, hieß es anschließend von Seiten der Ärzte.

    Im Juni 2016 tauchte der Killerkeim in der Uniklinik Ulm auf. Bei drei Patienten wurde Acinetobacter baumannii entdeckt. Die Intensivstation wurde vorübergehend gesperrt. Im Dezember 2016 gab es Acinetobacter-Alarm in Stuttgart. Auf der Intensivstation des Krankenhauses Bad Cannstatt waren fünf Patienten von dem hochresistenten Keim befallen, zwei in der Chirurgie, drei in der Inneren Medizin. Ein Patient starb – auch diesen Todesfall begründeten Ärzte mit anderen Erkrankungen.

    • „Das ist ein Einzelfall“, beschwichtigt der Ärztliche Direktor die gefährliche Infektion im Film. Wie viele solcher Fälle gibt es tatsächlich?

    Darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Anzahl der Keiminfektionen ist ebenso umstritten wie die der Todesopfer. Das Bundesgesundheitsministerium spricht von 400.000 bis 600.000 Patienten, die sich in Deutschland jährlich infizieren – und von 15.000 Toten. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) nennt 2000 bis 4500 Todesfälle, das Nationale Referenzzen­trum (NRZ) an der Berliner Charité maximal 6000 Opfer pro Jahr.

    Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) geht von jährlich 800.000 bis 1,2 Millionen Infektionen in deutschen Kliniken aus – und von bis zu 40.000 Todesfällen. Zum Vergleich: Die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland lag 2016 bei 3300.

    Experten befürchten, dass multiresistente Keime bald mehr Opfer fordern könnten als Krebs. Zu den Mahnenden zählt Elisabeth Meyer vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité. Eine Studie, die sie 2015 im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen erstellte, erhärtet eine Prognose der britischen Regierung, wonach die weltweite Zahl an Todesopfern aufgrund resistenter Keime von aktuell 700.000 jährlich auf rund zehn Millionen in 2050 ansteigen könnte. „Infektionen mit resistenten Bakterien sind oft schwer heilbar, manchmal sogar unheilbar, und ihre Zahl steigt“, warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und ruft nach neuen Antibiotika.