Berlin. Zu spät landete die Moderatorin beim Kern der Sendung. Ihre Gäste waren genervt. Aber der Redebedarf über die AfD ist eben vorhanden.

Irgendwann wurde es Joachim Herrmann dann doch zu viel. Der bayerische Innenminister schnaubte genervt ins Mikrofon: „Ich habe Ihre Einladung anders verstanden“, sagte der CSU-Mann in Richtung Maybrit Illner. Die wollte ihre Gäste am Donnerstagabend eigentlich zum Thema „Wenn vier sich streiten – mit Jamaika in die Zukunft?“ befragen.

Was den Gast aus München so auf die Palme brachte: Lange Zeit drehte sich die Sendung um eine Partei, die gerade der CSU Sorgen bereitet: die AfD. „Wir reden hier seit 20 Minuten über nichts anderes“, polterte Herrmann los. Damit hatte er nicht Unrecht: Wer beim Thema der Sendung einen neuen Dreh, einen Blick auf mögliche Koalitionsverhandlungen oder politische Zukunftsprojekte erwartet hat, wurde eines Besseren belehrt.

„Wir reden viel zu viel über die AfD“

Moderatorin Illner zog es vor, die Hälfte der Sendezeit für die Aufarbeitung des Wahlergebnisses von Sonntag zu verschenken. Dass Union und SPD vom Wähler abgestraft wurden, ist nichts Neues. Auch die altbekannten Erklärungen – die Große Koalition stärkt die kleinen Parteien, die Volksparteien debattierten in der gemeinsamen Regierung zu wenig – wurden schon oft gehört.

Und dann natürlich die AfD. Für die CSU ist die Konkurrenz von rechts ein Problem, in Bayern stürzten die Christsozialen ab. Aber auch CDU und SPD verloren Wähler an die Rechtspopulisten. „Wir reden viel zu viel über die AfD“, ärgerte sich auch Wolfgang Kubicki von der FDP. „Die 13 Prozent für die Partei sind ein Stein im Schuh der Demokratie, aber keine Demokratiekrise“, sagte der Liberale. Damit landete er zumindest das schönste Zitat des Abends.

Viele Hürden auf dem Weg nach Jamaika

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    Trotzdem griff Illner noch den Vorwurf von CSU-Spitzenkandidat Herrmann auf. Der behauptete, dass ARD und ZDF der AfD zu viel Raum in der Berichterstattung eingeräumt hätten und damit zum Aufstieg der Partei beigetragen hätten. Sind die Medien also Schuld? „Es ist schwer, das wissenschaftlich zu überprüfen“, sagte Gesine Schwan. Punkt.

    Ist Merkel zu geschwächt für Jamaika?

    Interessanter ist doch etwas anderes: Wie geschwächt ist Kanzlerin Merkel nach einem Verlust von fast neun Prozent der Stimmen? Schließlich steht sie mit CSU, FDP und Grünen in möglichen Koalitionsverhandlungen gleich drei schwierigen Partnern gegenüber. Zumindest die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele glaubt, dass Jamaika auch eine Chance für die Kanzlerin sein könnte. Sie habe nun die Gelegenheit, mit „neuer Schubkraft und neuen Themen“ in ihre vierte Amtszeit zu gehen.

    Alle Gäste: Gesine Schwan (SPD, l-r), Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen, l-r), Joachim Herrmann (CSU) und Wolfgang Kubicki, (FDP).
    Alle Gäste: Gesine Schwan (SPD, l-r), Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen, l-r), Joachim Herrmann (CSU) und Wolfgang Kubicki, (FDP). © dpa | Jule Roehr

    Und damit war Maybrit Illner endlich beim Thema des Abends angekommen. Mit Joachim Herrmann (Inneres), Cem Özdemir (Außen) und Wolfgang Kubicki (Finanzen) saßen gleich drei potenzielle Minister am Tisch. Und auch wenn alle drei darauf verwiesen, dass eine Koalition noch keine ausgemachte Sache sei – es sieht stark danach aus.

    Jamaika: An diesen drei Streitpunkten könnte eine Koalition scheitern

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      CSU könnte bei Obergrenze einlenken

      „Wenn wir das scheitern lassen, steht viel auf dem Spiel“, sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). „Die AfD könnte bei Neuwahlen bei 20 Prozent landen“, stimmte Grünen-Oberrealo Özdemir zu. Und auch bei strittigen Themen wie der Obergrenze für Flüchtlinge deutete sich in Illners Runde eine erste Kompromisslinie ab.

      „Über 60 Prozent der Deutschen wollen die Zuwanderung von Flüchtlingen begrenzen“, sagte CSU-Politiker Herrmann zwar. Und: „Es geht mir nicht um ein Wort, sondern eine Regelung“. Das klang zumindest nicht nach Obergrenze um jeden Preis.

      Streitpunkte sind auch Europa-Politik

      Auch beim Thema Europa gibt es Differenzen zwischen den Parteien. Aber unüberbrückbar sind sie nicht. „Mir hat die Grundsatzrede des französischen Präsidenten Macron sehr gut gefallen“, säuselte Wolfgang Kubicki. Darin forderte Macron eine Vertiefung der EU. Wogegen sich Kubicki wehrt: mehr Geld aus Deutschland, das in Transferzahlungen fließt. Die CSU steht den Liberalen da zur Seite.

      „Geldtransfers gibt es in der EU schon seit 30 Jahren“, widersprach Armin Laschet. „Und das ist gut so.“ Auch die Idee eines europäischen Finanzministers mit eigenem Budget reklamierte Laschet für die Union. „Das wollte Wolfgang Schäuble schon vor zehn Jahren“, sagte er. Unüberbrückbarer Zwist klingt anders.

      Kein journalistisches Glanzstück

      Was Maybrit Illner da bot, war kein journalistisches Glanzstück. Zu spät fand die Moderatorin zum eigentlichen Kern ihrer Sendung, der möglichen Jamaika-Koalition. Wie die vier Partner in der Innenpolitik, etwa im Bereich Umwelt, Wirtschaft und Soziales, zusammen finden wollen, und welche Zukunftsprojekte ein solches Bündnis in Angriff nehmen könnte, kam erst gar nicht zur Sprache. Zu viel Zeit ging drauf für einen lauen Nachdreh des Wahlergebnisses. Schade – Chance vertan.