Berlin. Populismus ist für TV-Moderator Claus Strunz an sich nichts Schlechtes. Warum er aber die AfD nicht wählt, erklärt er im Interview.

Sat.1-Moderator Claus Strunz (50) ist aktuell wohl der umstrittenste TV-Journalist Deutschlands. Seine Auftritte in den Wahl-Talksendungen der letzten Wochen sorgten für viel Kritik. Im Gespräch mit unserer Redaktion nimmt er auch dazu Stellung.

Herr Strunz, wissen Sie schon, wo Sie am 24. September Ihr Kreuzchen machen werden?

Claus Strunz: Ich bin kurz davor, mich zu entscheiden.

Natürlich gilt auch für Sie das Wahlgeheimnis. Aber aufgrund der Berichte über Sie muss die Frage erlaubt sein, ob zu den Parteien, die womöglich mit ihrer Stimme rechnen können, auch die AfD gehört.

Strunz: Die AfD werde ich nicht wählen.

Warum eigentlich nicht? Sie haben mal gesagt, der Populismus sei das Viagra einer erschlafften Demokratie. Die AfD ist die populistischste Partei, die sich zur Wahl stellt. Nach Ihrer Logik müsste sie folglich auch die geilste Partei sein.

Strunz: Die AfD wäre für viele bürgerliche Wähler eine Alternative, wenn sie sich klar und deutlich von ihrem rechten Rand distanzieren würde, wenn also Menschen wie Björn Höcke und noch unangenehmere Zeitgenossen dort nicht mitmachten. Mein Eindruck der letzten Tage ist aber, dass die Partei auch in der widerlichen Rechtsaußen-Szene auf Stimmenfang geht. Das kann niemand unterstützen, der an unsere demokratischen Werte glaubt. Sie haben übrigens meinen Viagra-Satz nicht richtig verstanden.

Wie war er denn gemeint?

Strunz: Populistische Zuspitzung trägt nach meiner Überzeugung dazu bei, den demokratischen Diskurs zu beleben, so wie Viagra manch anderes belebt. Wenn man aber zu viel Viagra nimmt, kann man einen Infarkt erleiden. In meiner These ist also die Kritik am Populismus bereits eingebaut. Leicht dosiert hilft er die erschlaffte Demokratie wieder so aufzustellen, dass zwei Lager miteinander streiten. Aber zu viel davon kann tödlich sein.

Den Aspekt der Überdosierung arbeiten Sie aber erst jetzt heraus. Das hätten Sie doch auch viel früher tun können. Ihr Viagra-Satz fiel bereits Mitte Dezember 2016.

Strunz: Warum sollte ich das Offenkundige erklären? Ich war sicher: Die kritische Öffentlichkeit kommt da selber drauf. In meinem Fall belässt man es aber lieber dabei, sich an einer sexuellen Konnotation zu delektieren. Das stört mich nicht. So etwas belebt den ansonsten eher schlappen Wahlkampf.

Aber Populismus ist für Sie nicht grundsätzlich etwas Schlechtes.

Strunz: Es gibt guten und schlechten Populismus. Wenn Sie so wollen waren auch Norbert Blüm und Gerhard Schröder Populisten.

Sind Sie ein guter populistischer Journalist?

Strunz: Wenn der Begriff „gut“ nicht wegfällt ist das eine Bezeichnung, in der ich mich wiederfinde.

Ist es populistischer Journalismus im guten Sinne, wenn man, wie Sie es im Kanzlerduell getan haben, einen der Kandidaten mit einem verkürzten Zitat konfrontiert? Sie haben Martin Schulz vorgehalten, er habe gesagt, die Flüchtlinge seien wertvoller als Gold. Tatsächlich sagte er, das, was die Flüchtlinge uns bringen, sei wertvoller als Gold: der unbeirrbare Glaube an den Traum von Europa.

Strunz: Ich finde diese Verkürzung legitim. Ich habe Schulz am Montag nach dem Duell getroffen und ihm gesagt, dass ich wegen dieses angeblich verfälschten Zitats scharf kritisiert werde. Da schaute er mich verwundert an und fragte: Welches Zitat? Als ich ihm sagte, worum es geht, erwiderte er: „Das war völlig in Ordnung“. Heißt: Der einzige Mensch, der das Recht hätte, sich falsch zitiert zu fühlen, sieht also das Problem gar nicht. Übrigens rudern inzwischen einige meiner Kritiker zurück. Einer hatte mir an prominenter Stelle vorgeworfen, mit falschen Zitaten und falschen Zahlen gearbeitet zu haben. Inzwischen hat man dort den Begriff „falsch“ durch „umstritten“ ersetzt. Aber ich will mich nicht beklagen. Wer austeilt, muss auch einstecken können.

Sie waren mit Ihrem Auftritt beim Kanzlerduell also durchweg zufrieden?

Strunz: Zwei der drei politisch wichtigen Punkte des Duells waren Antworten auf Fragen, die ich gestellt habe. Dass Angela Merkel sich darauf festgelegt hat, dass die Rente mit 70 nicht kommt, war zum Beispiel, das Ergebnis meines Fragens und meiner viel kritisierten Art des Nachhakens. Auch Schulz‘ Forderung, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei zu beenden, wurde durch meine Frage ausgelöst. Ja, ich würde es wieder so machen.

Gilt das auch für den Teil der Sendung, in dem es um ausreisepflichtige und geduldete Asylbewerber ging? Manchen Zuschauer hat empört, wie Sie über diese Leute gesprochen haben. „Wann sind die weg?“ haben Sie Merkel und Schulz gefragt.

Strunz: Vorsicht, Sie zitieren verkürzt. Ich habe wörtlich gesagt: „Wann sind diese Leute weg?“ Noch besser wäre es gewesen, wenn ich gesagt hätte: Wann sind die nicht geduldeten Menschen weg? Andererseits sollten auch geduldete Menschen unser Land verlassen, wenn die Gründe für ihre Duldung wegfallen.

Fühlen Sie sich rechts der Mitte zuhause? Früher galten Sie als liberaler Freigeist.

Strunz: Ich würde Ihnen widersprechen, wenn Sie mich rechts der politischen Mitte einordnen. Ich fühle mich in der Mitte zuhause. Da war ich immer. Es ist erstaunlich, dass man mich früher für einen Linken gehalten hat und heute glaubt, ich sei rechts.

Dass Sie sich verändert haben, schließen Sie aus.

Strunz: Mein politischer Standort war immer in der bürgerlichen Mitte. Offensichtlich hat der politische Mainstream in Deutschland mich links überholt – vermutlich gezogen von Frau Merkel und der CDU. Wenn eine Volkspartei sich nach links bewegt, ist es naheliegend, dass ein Teil der Bürger das ebenfalls tut – vor allem, wenn die Partei mit einem ohnehin schon links verorteten Partner koaliert. Dann steht einer wie ich, der seinen Standort gar nicht verlassen hat, auf einmal rechts des Mainstreams. Ich habe mich nicht verändert. Freiheit ist für mich das höchste Gut. Freiheit gibt es aber nur, wenn es Sicherheit gibt.

Abgesehen von einigen Gewaltdelikten ist die Kriminalität in diesem Land rückläufig. Glaubt man aber Ihren Kommentaren im SAT.1 Frühstücksfernsehen können sich Frauen nicht mehr sicher fühlen. Hinter jeder Ecke lauert ein islamistischer Terrorist. Mitunter hat man den Eindruck, Deutschland stünde unmittelbar vor einem Bürgerkrieg.

Strunz: Jetzt haben Sie aber einen auf Strunz gemacht und meine Kommentare maximal zugespitzt …

… wenn überhaupt, dann aber nur ein klitzekleines bisschen.

Strunz: Richtig ist, dass sich die Lebenssituation in unserem Land in Zeiten des Terrors der in Israel annähert. Und das sollte uns auch bewusst sein. Ich kann nicht verstehen, dass ich bei den Bayreuther Festspielen völlig unkontrolliert in das Festspielhaus hineinkomme. Es ist mir auch unbegreiflich, warum ich unkontrolliert an einem Wochenende, an dem dort tausende Leute sind, in das Deutsche Museum in München gehen kann. Ich halte das für Leichtsinn. Wir müssen aufhören zu glauben, dass wir in einer Schönwetterperiode leben. Im Übrigen sagt laut einer aktuellen Umfrage fast die Hälfte aller Frauen, dass sie Angst haben vor sexuellen Übergriffen. Man kann das nicht wegdiskutieren, man muss sich damit auseinander setzen. Aber natürlich hat der Staat nicht die Kontrolle verloren und natürlich stehen wir auch nicht vor einem Bürgerkrieg.

Sie haben allerdings in einem Ihrer Kommentare von einem Totalversagen des Staates gesprochen.

Strunz: In einem ganz bestimmten Fall. Das betraf den Mord des Flüchtlings Hussein K. an einer Freiburger Studentin. Bei ihm handelt es sich um einen Mann, von dem die Behörden noch nicht einmal wissen, wie alt er ist. Er hätte nie hierher kommen dürfen. In einem anderen Land hatte er bereits eine Frau von einer Klippe gestürzt und saß dafür im Gefängnis. Auf irgendwelchen Wegen ist er dann unkontrolliert nach Deutschland gekommen. Da darf man schon die Frage stellen, ob der Staat genug für die Sicherheit seiner Bürger tut.

Sie haben aber nicht nur das angebliche Totalversagen des Staates angeprangert, sondern auch gesagt, es lebten noch „viele Husseins“ in Deutschland.

Strunz: Das stimmt doch auch. Bei bis zu 100.000 Flüchtlingen ist die Identität ungeklärt. Wenn das kein Staatsversagen ist.

Und die sind alle Frauenmörder?

Strunz: Das habe ich nicht gesagt.

Aus keiner Statistik geht hervor, dass der Anteil an Frauenmördern bei Flüchtlingen größer ist als in anderen gesellschaftlichen Gruppen.

Strunz: Das habe ich auch nicht behauptet. Wohl aber habe ich Innenminister Thomas de Maizière zitiert, der erst kürzlich gesagt hat, dass sexuelle Übergriffe auch mit der Zuwanderung von Flüchtlingen zu tun haben.

Ein sexueller Übergriff ist kein Mord.

Strunz: Da haben Sie Recht.

Mitunter gibt es auch Nachrichten, die mit der Realität nichts zu tun haben. Zu Beginn des Jahres beklagten Sie, dass es zu Silvester wieder zu zahlreichen sexuellen Übergriffen gekommen sei. Davon wusste die Polizei allerdings nichts. Zwar meldete „Bild“, dass es in Frankfurt zahlreiche solcher Übergriffe gegeben habe. Doch das erwies sich als Ente, für die sich das Blatt später entschuldigte.

Strunz: Ich habe den Frankfurter Fall nicht thematisiert. Es gab Fälle in Hamburg und in einem Ort in Nordrhein-Westfalen. Zu behaupten, es sei gar nicht passiert, ist falsch.

Es gab kaum etwas.

Strunz: Kaum etwas ist aber schon etwas. Und unsere Aufgabe als Journalist ist es, aufmerksam zu sein, manches als erster zu thematisieren. Begonnen hat das ja alles mit den Übergriffen in Köln an Silvester 2015. Köln war für mich der Auslöser, bestimmte Dinge früher auszusprechen als andere. Ich habe gesagt, dass das, was da auf der Domplatte passiert ist, mit dem kulturellen Hintergrund der Täter zu tun habe. Danach gab es einen Aufschrei. Denn die Politik sah das damals noch ganz anders. Heute ist unbestreitbar, dass es diesen Zusammenhang gibt.