Berlin. Die Doku „Zu schnell in den Tod“ taucht in die Tuning-Szene ein. Aufgemotzte Autos haben einen besonderen Reiz – mit schweren Folgen.

„Ich will Spaß, ich geb’ Gas“, sang 1982 ein gewisser Markus. Das Sternchen der Neuen Deutschen Welle ist lange verglüht, doch die Liedaussage ungebrochen aktuell. Die Zahl der illegalen Straßenrennen in Deutschland, von denen es nur wenige nach verheerenden Unfällen in die Nachrichten schaffen, nimmt nach Polizeieinschätzung zu; genaue Zahlen gibt es wegen der oft schwierigen Beweislage nicht.

Dass der Spaß beim Gasgeben spätestens da aufhört, wo Unbeteiligte verletzt oder gar getötet werden können, zeigen Jule Sommer und Udo Kilimann in ihrer eindrucksvollen „37-Grad“-Dokumentation „Zu schnell in den Tod“.

Einblick in die weitgehend unbekannte Tuning-Szene

Der Film liefert ungewöhnliche Einblicke in eine Motorwelt, zu der „Otto Normalfahrer“ sonst kaum Zugang hat. Sommer und Kilimann tauchen in die Tuning-Szene ein, begleiten Polizisten bei Kontrollen, zeigen schwere Folgen unkontrollierter Raserei. Worin liegt der Reiz, einen Golf II auf 500 PS hochzurüsten? Warum setzen Möchtegern-Vin-Diesels ihre Gesundheit und die anderer aufs Spiel, um im Stil von „The Fast & the Furious“ durch Innenstädte zu brettern?

Drei Mitglieder der Hagener Tuning-Szene geben bereitwillig Auskunft über ihre Motivation; ihre unkommentierten Aussagen verdichten sich zum Psychogramm eines bestimmten Männer-Typus mit all seinen Idealen und Regeln, aber auch Widersprüchen. Das Aufmotzen und Tieferlegen von Wagen ist ja nicht verboten, solange der TÜV mitspielt.

Es geht auch legal – bei genehmigten Veranstaltungen

Auch die Drei sehen sich als Teil der legalen Tuning-Szene. Spontane Rennen sind tabu, es gibt ja genehmigte Veranstaltungen für das ersehnte Kräftemessen. Als das Filmteam im Mai die Gerichtsverhandlung gegen zwei Raser begleitet, deren illegale Straßenrennen in Hagen 2016 zu fünf Schwerverletzten führten, halten sie Haftstrafen für verdient.

Andererseits: An der Ampel kann schon mal der Gasfuß das Denken übernehmen. Mann schaut halt nicht so gern in einen fremden Auspuff. Und außerdem: Wenn schon ein Auto mit 400 PS, dann sicher nicht zum Einkaufen, das ist doch klar.

In Köln jagt eine Sonderermittlungsgruppe die Raser

Hier die Raser – dort jene, die Raser jagen. In Köln haben Kommissar Rainer Fuchs und sein Kollege Ricky Lüders allein im ersten Halbjahr 2017 bei ihren Nachteinsätzen 650 illegal getunte Wagen aus dem Verkehr gezogen. Fuchs, Leiter einer vor zwei Jahren ins Leben gerufenen Sonderermittlungsgruppe „Rennen“, gehörte zu der Expertengruppe, die in Juni vom Bundestag zu einem Gesetzentwurf gehört wurde.

Kurz nach Ende der Dreharbeiten trat das neue Gesetz in Kraft. Illegale, Menschen gefährdende Autorennen, zuvor eine Ordnungswidrigkeit, gelten seit Juli als Straftat, bedroht mit bis zu zehn Jahren Haft. Dabei hat Fuchs – „ich war ja auch mal jung“ – durchaus Verständnis für junge Leute, die sich mit ihrem frisierten Fahrzeug identifizieren, die ihr Ansehen im sozialen Umfeld und damit ihr Selbstwertgefühl steigern möchten.

Doch das Verständnis ist endlich. Bei allem harten Durchgreifen während der nächtlichen Kontrollen setzt Fuchs darum vor allem auf Überzeugungsarbeit. Er geht die Politik der kleinen Schritte. Wenn auch nur ein einziges Rennen verhindert wird, ist das schon ein Erfolg.

„37 Grad: Zu schnell in den Tod“ - bis 12. September 2020 in der ZDF-Mediathek abrufbar