Berlin. Es ist nicht gerade eine neue Idee, die der Autor und Regisseur Dietrich Brüggemann („Kreuzweg“) für seinen ersten „Tatort“-Film ausgegraben hat. Mit dem Stau auf den Autostraßen haben sich schon viele Filmemacher beschäftigt, darunter bedeutende wie etwa Jacques Tati („Trafic“) oder Jean-Luc Godard („Weekend“).
Und wer erinnert sich nicht gern an Joel Schumachers „Falling Down“, in dem Michael Douglas die Blechlawinen von Los Angeles satthat, das Auto einfach stehen lässt und sich samt Gewehr auf einen Rachefelszug begibt. „So ein Stau,“ meint auch Brüggemann, „ist eine Art dramaturgischer Dampftopf.“
Eine 14-Jährige liegt tot an der Straße
Obwohl er sich mit „Stau“ in den Parametern eines „Tatort“-Falles bewegen muss, gelingt ihm doch ein reichlich ungewöhnlicher Beitrag zum kriminalistischen Dauerbrenner. Auf einer Zufahrtsstraße zur Stuttgarter Weinsteige wird ein 14-jähriges Mädchen tot aufgefunden, offenbar das Opfer eines rücksichtslosen Autofahrers, der das Weite gesucht hat.
Kommissar Bootz (Felix Klare) bleiben als Zeugen lediglich ein dreijähriger Junge, der am Fenster gespielt hat, sowie eine grantige 80-jährige, die im Haus grundsätzlich herumspioniert. Immerhin wird deutlich, dass der Täter sich noch an der Weinsteige befinden muss, weil dort nach einem Rohrbruch der Verkehr komplett zum Stehen gekommen ist. Bootz’ Kollege Lannert (Richy Müller) begibt sich unverzüglich dorthin.
Der Kriminalfall ist eigentlich nur Beiwerk
Der Fall selbst ist eigentlich nur notwendiges Beiwerk zu einem Film, in dem es vor allem um gestresste und missmutige Menschen geht, die durch den Stau förmlich ausgeknockt werden. Da ist der Anwalt, der seinen Sohn von der Kita abholt, um ihn aus Zeitnot mitzuschleppen zum Treffen mit der Geliebten. Da ist der griesgrämige Pensionär, der gerade bei der Mieterberatung erfahren hat, dass er seine Wohnung wohl wegen Eigenbedarf des Vermieters verlieren wird.
Die Ehe eines Paares mittleren Alters scheint derart zerrüttet, dass auch eine Paarberatung kaum noch eine Chance hätte. Ein Chauffeur wird derart schikaniert von seiner Chefin, dass er mitten im Stau kündigen möchte. Und nicht zuletzt ist da eine Mutter, die irgendwann vergessen hat, ihr Kind zu erziehen, und die nun einen dominierenden Schreihals auf dem Hintersitz kutschiert.

Eine Parade gereizter Menschen
Lannert setzt sich in viele dieser derzeit unbeweglichen Autos, fragt ab, wer zuvor über die besagte Straße angefahren ist, achtet auf Kratzer an den Wagen. Und bekommt schließlich auch den geballten Zorn von Menschen zu spüren, die zum Stillstand verdammt sind. Mehr noch als auf Spannung setzt Brüggemann auf das Kaleidoskop seiner Menschen-Parade, von der jeder der flüchtige Täter sein könnte. Und nur am Ende wird es wirklich brenzlig, wenn die Straße wieder freigegeben werden soll und noch kein Ergebnis vorliegt. Und während der Zuschauer fast traurig ist, dass diese Zwangsgemeinschaft nun plötzlich wieder auseinanderdriftet und man so gar nichts mehr von ihr hören wird, kommt es zur entscheidenden Wende in dem Fall.
Fazit: Wieder mal ein ungewöhnlicher Beitrag zum „Tatort“, randvoll mit kleinen Schicksalsgeschichten. Man merkt allerdings manchmal allzu deutlich, dass der Film teilweise nicht an Außenplätzen, sondern in einer 8000 Quadratmeter großen Halle gedreht werden musste.
Sonntag, 10. September, ARD, um 20.15 Uhr
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