Berlin. Arte zeigt mit „Ich werde nicht schweigen“ ein vielschichtiges, exzellent besetztes Drama nach einer wahren Geschichte. Nadja Uhl glänzt.

Bad Zwischenahn-Wehnen 1948. Wenn zu Beginn Cole Porters Schmuseklassiker „Begin the Beguine“ erklingt, durchzieht ein Hauch von Freiheit und Unbeschwertheit die klare Ammerländer Luft. Doch die Grundstimmung wechselt rasch.

Die Kriegswitwe Margarethe Oelkers (Nadja Uhl), die sich und ihre Söhne als Modellschneiderin über die Runden bringt, will einer Kundin (Katja Flint) das neue Kleid bringen. Hausherr Dr. Ahrens (Rudolf Kowalski), Chef des Gesundheitsamtes, platzt in die harmonische Anprobe. Er ist von der britischen Militärbehörde eingestellt worden und sucht seine Aktenmappe mit den vorbereiteten Unterlagen. Margarethe spricht Ahrens noch einmal an. Um ihre Kriegswitwenrente zu erhalten, benötigt sie die Bescheinigung, dass ihr Mann von 1935 bis 1944 im Gesundheitsamt tätig war. Doch Ahrens’ Mitarbeiter wollen den Beleg nicht ausstellen; sie geben vor, nie einen Kollegen namens Oelkers gehabt zu haben.

Die Regisseurin verarbeitet ihre eigene Familiengeschichte

Als Margarethe tags drauf zur vermeintlich endgültigen Klärung im Amt erscheint, wird sie trotz vereinbarten Termins auf dem Flur abgefertigt. Voller Verzweiflung und Wut schlägt sie die Scheibe einer Tür ein, hinter der sie Ahrens verschwinden sieht – und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Antje Eversen (Janina Fautz, li.) erzählt Margarete Oelkers (Nadja Uhl) vom Tod ihrer Mutter in der Heil- und Pflegeanstalt.
Antje Eversen (Janina Fautz, li.) erzählt Margarete Oelkers (Nadja Uhl) vom Tod ihrer Mutter in der Heil- und Pflegeanstalt. © © ZDF/Václav Sadílek | © ZDF/Václav Sadílek

Binnen Minuten ist der Sanitätsdienst da. Wegen eines von Ahrens im Handumdrehen diagnostizierten schizophrenen Schubes wird sie in die Nervenheilanstalt Wehnen gebracht. Ihre Kinder kommen bei Margarethes Schwester unter; sie selbst steht nach der Entlassung nach einem Horror-Jahr unter Vormundschaft ihres zwielichtigen Nachbarn Windhorst (Martin Wuttke).

Mischung aus Nachkriegsdrama und persönlichem Albtraum

Esther Gronenborns Fernsehfilm „Ich werde nicht schweigen“ ist umso eindringlicher, als die Regisseurin ein Stück eigener Familiengeschichte verarbeitet hat. Die Großmutter war einst mit ähnlich fadenscheinigen Begründungen in Wehnen eingewiesen worden. In jene Klinik, in der – wie Windhorst sagt – schon immer „die Leute jeden Tag gestorben worden sind“. Eine Studie zur Geschichte des Hauses während des Nationalsozialismus belegte 1996, dass unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Forschung und ökonomischer Notwendigkeit „Hunger-Euthanasie“ betrieben worden war.

Langzeitpatientin Erna (Eleonore Weisgerber) hat die Gräuel in der Heil- und Pflegeanstalt miterlebt.
Langzeitpatientin Erna (Eleonore Weisgerber) hat die Gräuel in der Heil- und Pflegeanstalt miterlebt. © © ZDF/Václav Sadílek | © ZDF/Václav Sadílek

In dieser berührender Mischung aus Nachkriegsdrama, Vergangenheitsbewältigung, persönlichem Albtraum und (fast) Detektivgeschichte Nadja Uhl als starke Frau zu verfolgen, deren Willenskraft mit jedem Rückschlag nur noch zu wachsen scheint, ist ein Erlebnis von seltener Intensität. Margarethe Oelkers gelingt die Rehabilitierung; sie erhält die Bescheinigung für die Witwenrente, verlässt mit den Kindern Wehnen. Derweil feiert das Lokalblatt den vom Bürgermeister ausgezeichneten Ahrens: „Ein Leben für die Gesundheit“.

• Freitag, 8. September, 20.15 Uhr, Arte: „Ich werde nicht schweigen“