Berlin. Steffen Schroeder („Soko Leipzig“) ist Botschafter der Opferorganisation „Weißer Ring“. Wieso er sich auch für Täter einsetzt.

Im Fernsehen ist Steffen Schroeder als Kommissar Tom Kowalski in der Serie „Soko Leipzig“ Mördern auf der Spur. Im echten Leben trifft er sich bereits seit vier Jahren regelmäßig mit einem verurteilten Mörder in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Berlin-Tegel. In seinem Buch „Was alles in einem Menschen sein kann“ schreibt der 43-Jährige über seine ehrenamtliche Tätigkeit als Vollzugshelfer und liefert Einblicke in eine andere Welt. „Mich hat der Knast schon immer eigenartig berührt“, sagt Schroeder, der keinesfalls aus Tätern Opfern machen will. Aber Resozialisierung sei wichtig, sonst könne eine Gesellschaft nicht mit Ex-Sträflingen klar kommen.

Micha etwa, so nennt er den Insassen, ist ein ehemaliger Neonazi und hat einen Mann erstochen. Schroeder verweist auf Parallelen: Beide haben in der gleichen Straße in Potsdam gewohnt – nur drei Häuser voneinander entfernt. Beide haben einen fast auf den Tag genau gleichaltrigen Sohn. Während Schroeder in seiner Jugend immer auf seine Eltern zählen konnte, sei Micha komplett ins Leere gelaufen. Der Vater war alkoholabhängig und gewalttätig. Er konnte seinem Sohn keinen Halt, keine Orientierung bieten. Bereits mit 15 Jahren sei Micha von zu Hause ausgezogen – ohne Wertekanon, ganz auf sich selbst gestellt.

„Im Knast verlernt man zu leben“

Während Schroeder durch die „Soko Leipzig“ zum gut gebuchten Fernsehschauspieler wurde, sitzt Micha seit 14 Jahren im Gefängnis. Schroeder wollte ihn nicht fallen lassen, baute Kontakt zu ihm auf. Seine Erinnerungen an den ersten Freigang haben sich eingeprägt: Micha, dieser kräftige, bedrohlich wirkende Mann – der aber schon mit dem Bestellen eines Hamburgers überfordert ist. Der über Werbereklamen staunt, genau wie über Musik, die in Einkaufszentren gespielt wird. Der zum ersten Mal einen Euro in der Hand hält und keinen Touchscreen bedienen kann.

Die Möglichkeiten des Internets nicht zu kennen, erschwere die Resozialisierung nach der Haftzeit immens, meint Schroeder. Hinzu komme das Problem mit dem Verlust der Selbstständigkeit: „Im Knast verlernt man zu leben. Man wird durch die Unmündigkeit wieder zum Kleinkind gemacht“, so der Schauspieler. Es sei extrem schwierig, das eigene Leben wieder eigenständig zu organisieren, wenn einem jahrelang jede Entscheidung abgenommen wird.

„Beschränkter Internetzugang wichtig“

Schroeder setzt sich dafür ein, die Haftzeit zumindest ein wenig näher am echten Leben auszurichten. Eine Möglichkeit zum Telefonieren und zumindest beschränkter Zugang zum Internet seien wichtig. „Uns bleibt doch nichts anderes übrig, als zu überlegen, wie wir diese Menschen wieder in die Gesellschaft integrieren können“, sagt er.

Ein Hindernis bei der Resozialisierung sei die Personalsituation in vielen Gefängnissen, auch in der JVA Berlin-Tegel. Zuletzt wurden massiv Stellen abgebaut. „Die Gefangenen bleiben dann wegen Personalnot am Wochenende eingesperrt. Das führt zu verstärkten Aggressionen“, bestätigt auch Martin Franke von der bundesweiten Gefangenengewerkschaft.

Schroeder ist Botschafter der Opfer-Organisation Weißer Ring, die sich für Opfer von Gewalttaten stark macht. Ein Widerspruch? Nicht für Schroeder. Ihm gehe es nicht um unkritisches Täter-Verständnis, sondern um den Schutz der Gesellschaft, in die die meisten Gefangenen irgendwann zurückkehren.