Essen . Arte zeigt die Dokumentation über die Britin Gertrude Bell – eine selbstbewusste Frau im Nahen Osten, die sich unter Männern behauptete.

Wäre vor zwei Jahren nicht Werner Herzogs Film „Die Königin der Wüste“ mit Nicole Kidman in die Kinos gekommen, kaum jemand hätte bei uns etwas mit dem Namen Gertrude Bell (1868–1926), einer britischen Archäologin und Spionin, anfangen können. Der Name ihres Zeitgenossen T. E. Lawrence („Lawrence von Arabien“) ist dagegen heute noch immer ein Begriff. Das ist ungerecht, denn die Arbeit von Gertrude Bell im Nahen Osten nach dem Ersten Weltkrieg war vielleicht noch bedeutender. Das schildert eindrucksvoll der Dokumentarfilm „Von Britannien nach Bagdad: Gertrude Bell“. Er zeigt den furchtlosen Weg einer modebewussten Frau, die sich in fernen Regionen allein unter Männern behauptete und zu einem der mächtigsten Menschen des Empires aufstieg.

Produzentin ist Hollywoodstar Tilda Swinton

Eigentlich greift der Begriff „Dokumentarfilm“ für „Letters From Baghdad“ (Originaltitel) viel zu kurz. Die Filmemacherinnen Zeva Oelbaum und Sabine Krayenbühl haben vielmehr ein Porträt komponiert, das sich aus Gertrudes privaten Briefen, Tagebucheinträgen und offiziellen Dokumenten zusammensetzt. Produzentin ist Hollywoodstar Tilda Swinton. Sie engagierte Schauspieler für die Rollen historischer Personen. Dass man diese Szenen als schmalen 16-Millimeter-Film aufgenommen hat, zeigt die Ehrfurcht vor den eigentlichen Juwelen dieses Films: Seltenes Archivmaterial aus Städten wie Damaskus, Kairo oder Bagdad lassen die arabische Welt der 20er-Jahre faszinierend lebendig wirken.

Tilda Swinton bei den Filmfestspielen in Cannes.
Tilda Swinton bei den Filmfestspielen in Cannes. © imago/Independent Photo Agency | Simone Comi / Cannes / IPA

Mit all diesen Beigaben entfaltet sich nach und nach das Bild einer getriebenen Person, die eine tiefe Liebe zum Nahen Osten besaß. Irgendwann haben das auch die Scheichs gespürt. Bei Gertrude, dieser Frau aus einer anderen Kultur, legten sie ein ganz anderes Maß an als bei ihren eigenen Frauen daheim. Sie lernte schließlich Farsi und Arabisch, um ihre Gastgeber besser zu verstehen. In Herzogs Spielfilm dienten diese Treffen immer auch als opulente Höhepunkte, in der Doku dreht man in dieser Hinsicht ein wenig sparsamer.

Bell starb im Alter von 60 Jahren an einer Überdosis Schlaftabletten

Gertrude Bell, geboren 1868, Tochter aus feinstem britischen Hause, drängte es schon früh, die gesellschaftlichen Verpflichtungen hinter sich zu lassen. Ihre langen Reisen durch noch unerforschte Wüsten hatten zur Folge, dass sie der britische Auslandsgeheimdienst anwarb.

Sie erschien allen derart kompetent, dass man sie die zum Teil heute noch gültigen Grenzen der Region ziehen ließ. Zweimal war sie nachweislich verliebt, beide Male endeten die Beziehungen tragisch. Für Gertrude war das ein Signal, um sich nun ganz und gar der arabischen Welt hinzugeben. Als man sie in den Machtzen­tren des damaligen britischen Empires nicht mehr brauchte, wendete sie sich der Archäologie zu und gründete ein Museum in Bagdad. Ihr Tod war einsam, sie starb mit 60 Jahren an einer Überdosis Schlaftabletten.

Fazit: Ein starker Dokumentarfilm in Kinoqualität, der einer ungewöhnlichen Frau ein Denkmal setzt und die Epoche plastisch erscheinen lässt.

• Dienstag, 22. August, 20.15 Uhr, Arte