Essen. Zweiteilige Arte-Doku „Zeitenwende“ über die außergewöhnliche Kulturepoche der Renaissance. Ursprünge der modernen Welt im Überblick.

Es ist nicht nur die Glanzzeit von Universalgenies wie Leonardo da Vinci oder Künstlertitanen wie Michelangelo. Und schon gar nicht ist die Renaissance bloß ein kunsthistorisches Phänomen. Auf den Errungenschaften dieser außergewöhnlichen Kulturepoche, deren Blütezeit im 14.Jahrhundert in Italien begann, fußt sozusagen die ganze westliche Gegenwart: Ohne das, was in der Renaissance erdacht und erfunden wurde, wäre unsere moderne Welt gar nicht vorstellbar – sei es bei moderner Bautechnik oder Buchführung.

Die zweiteilige Dokumentation „Zeitenwende“, die Arte heute Abend zum Schwerpunkt „500 Jahre Reformation“ startet, spart daher nicht an Superlativen. Die deutsch-italienisch-französische Produktion ist eine Art Rausch der Lobpreisungen. Zum Teil an Originalschauplätzen gedreht verbindet sie sehr aufwendig hergestellte Szenen mit computeranimierten Grafiken zu zeitgerafften Reisen in die Vergangenheit. Alles, was heutzutage an visuellen Mitteln zur Verfügung steht, um einen möglichst realitätsnahen Eindruck der Ereignisse zu erwecken, wird eingesetzt.

Neuer Typus Mensch

Zum Strom der Farbbilder gesellt sich eine klug komponierte Tonspur. Der aus Dortmund stammende Filmautor Martin Papirowski ist ein Kenner des Stoffs: Dank unzähliger Dokumentationen zur Kunst- und Kirchengeschichte, die er in den letzten zehn Jahren für die öffentlich-rechtlichen Programme erstellt hat, ist er spürbar ein Experte für die prägenden Entwicklungen auch dieser Epoche. Die Renaissance wird entlang ihrer Wendepunkte erzählt. Und sie bleibt nicht auf die Kunst beschränkt, auch wenn die Kunst der Motor für eine umwälzende Entwicklung bleibt, die im 14. Jahrhundert Wissenschaft, Technik, Wirtschaft oder Religion erfasst.

Ihre Akteure erschaffen einen neuen Typus Mensch, der nicht mehr nur bereit ist zu glauben, sondern den Dingen auf den Grund gehen will und sich selbst als ein göttliches, zumindest gottähnliches Wesen begreift. Das neue Selbstverständnis führt zu neuem Selbstbewusstsein. Künstler beginnen, ihre Bilder zu signieren, und werden namentlich bekannt. Die besten unter ihnen finden Mäzene, die ihre Werke großzügig finanzieren. Ein Starkult, wie wir ihn heute noch kennen, wird geboren.

Erfindung der Buchdruckerkunst

Phänomen für Phänomen zeichnet die Doku solche Kettenreaktionen des Fortschritts und ihrer Auswirkungen auf die Gegenwart nach. Und schafft so mühelos einen Brückenschlag von der Erfindung der Zentralperspektive zur heutigen Computerkunst oder von Leonardos Maschinenmensch zu autonomen Roboterkickern. Auch die Massenkommunikation stammt aus dieser Epoche – mit der Erfindung der Buchdruckerkunst werden nicht nur Bibeln frei zugänglich. Auch Flugblätter können in hoher Auflage und zum akzeptablen Preis gedruckt werden: Erstmals in der Geschichte wird es möglich, die eigene Meinung frei zu verbreiten – europaweit.

Fazit: Sehr aufwendig und mit allen Mitteln der visuellen Kunst produzierte Dokumentation über eine Epoche, deren Erfindungsreichtum bis heute wirkt.

Arte, Samstag, 5. August, 20.15 Uhr (Teil 1) und 21.10 Uhr (Teil 2)