Köln. Es begann verheißungsvoll: Sandra Maischberger wollte die Debatte zur umstrittenen Antisemitismus-Doku liefern. Doch sie scheiterte.

Die Dokumentation war schon vor der Ausstrahlung ein mindestens mittelschweres mediales Politikum: An dem 90-Minuten-Film „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ hatten sich schon eine Reihe von Kommentatoren aufgerieben und heiß geschrieben.

Kein Wunder, war die Doku doch wie gemacht für den Schlagabtausch. Die Zutaten der Debatte: Eine medial-explosive Mischung aus Antisemitismus, Zensur-Vorwürfen gegenüber den öffentlich-rechtlichen Sendern, Vorurteilen gegenüber dem Islam und Verschwörungstheorien. Die Aufregung war also gewissermaßen alternativlos.

Sender tritt Flucht nach vorn an

Das Vorspiel: Arte und der WDR planten die Produktion einer Dokumentation über Judenhass in Europa. Doch die Sender befanden nach der Fertigstellung des Films von Sophie Hafner und Joachim Schroeder, dass er den Ansprüchen nicht genüge. Die Argumente: Handwerkliche Fehler, die journalistische Sorgfaltspflicht sei nicht eingehalten, außerdem hätten die Autoren das Thema verfehlt.

Die Sender entschieden sich gegen eine Ausstrahlung – vorerst. Die Kritik folgte prompt. Nicht nur der Zentralrat der Juden protestierte. Die „Bild“ schuf Tatsachen: Das Blatt stellte den umstrittenen Beitrag auf ihrem Portal für 24 Stunden online.

Das Öffentlich-Rechtliche trat am Mittwochabend nun die Flucht nach vorn an und strahlte die umstrittene Doku nun doch aus. Im Anschluss diskutierte Sandra Maischberger mit ihren Gästen. Im Zentrum die Fragen: Polemik oder schonungslose Doku, notwendige Provokation oder Propaganda?

Schönenborn vs. Wolffsohn

Jörg Schönenborn (l.) und Michael Wolffsohn (r.) starteten in den Abend mit einer Debatte.
Jörg Schönenborn (l.) und Michael Wolffsohn (r.) starteten in den Abend mit einer Debatte. © WDR | M. Grande

Der Talk startete verheißungsvoll. Mit einem starken Einstieg, in dem sich Jörg Schönenborn von der ARD („Doku-Kritiker“) mit dem Historiker Michael Wolffsohn („Doku-Befürworter“) duellierte. Die Debatte war so lebendig und angriffslustig, dass man sich als Zuschauer ein anderes Format für die verbleibende Sendung gewünscht hätte, anstatt der obligatorischen Experten-Runde: Schönenborn vs. Wolffsohn, das hätte den Abend vermutlich gewinnbringend gefüllt.

Der ARD-Mann Schönenborn verriet schon im ersten Satz, dass er eben nicht hinter dem Film steht. „Eigentlich sprach alles für den Film, wenn sich in diesem Land jüdische Jugendliche nicht zu erkennen geben“. Eigentlich. Dann zählte er auf, warum er gegen die Ausstrahlung gewesen sei: Sieben Persönlichkeitsrechtverstöße und 25 weitere inhaltliche oder journalistische Mängel.

Schönenborn führte also das journalistische Handwerk ins Feld. Wolffsohn lobte die aus seiner Sicht neue Perspektive, die der Film eröffnete: „Er zeigt nicht nur, dass der Antisemitismus in der alten und neuen Rechten verbreitet ist, sondern auch weite Teile der Linken von diesem Bazillus infiziert sind.“ Und: „Eine Stärke ist, dass er zeigt, dass der Nahost-Konflikt längst in Europa präsent ist, kein Film zeigt das sonst so.“

Schönenborn in der Defensive

Einer der Vorwürfe der Fernsehsender lautete, dass die Dokumentation nicht den Judenhass in Europa, sondern vor allem den Nahost-Konflikt beleuchte und damit nicht den ursprünglichen Auftrag erfülle. Und tatsächlich drehten die Autoren die meiste Zeit in Israel und Palästina. Wenn man aber der Sichtweise von Wolffsohn folgt und der Nahost-Konflikt mittlerweile auch hierzulande präsent ist, verpufft der Vorwurf allerdings.

Insgesamt geriet Schönenborn zunehmend in die Defensive. Und verschanzte sich hinter Ausweich-Rhetorik. Maischberger fragte durchaus interessant danach, ob ein Film über Antisemitismus nicht auch automatisch projüdisch sein müsste. Schönenborn wich aus und flüchtete sich in die wachsweiche Aussage, dass ein solcher Fall „promenschlich“ sein müsste.

Süffisant stichelte Wolffsohn noch hinterher, dass die ganze Debatte doch „eine meisterhafte PR-Leistung“ gewesen sei und der Nischen-Sender Arte niemals ein solches Publikum erreicht hätte. Allein: Schönenborn hätte sicherlich gerne auf das große Publikum verzichtet.

Wieder ganz am Anfang

Norbert Blüm (l.) erzählte von seinen Israel-Besuchen.
Norbert Blüm (l.) erzählte von seinen Israel-Besuchen. © WDR | M. Grande

Die restliche Sendung scheiterte leider daran, dass die Gäste wahlweise persönliche Erfahrungen mit Antisemitismus schilderten und andere den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhoben. Ex-Bundesminister Norbert Blüm plauderte von seinen Besuchen in Nahost.

Und während Rolf Verleger, ehemaliges Mitglied des Zentralrats der Juden, vom schrecklichen Schicksal seiner Familie erzählte, pochte Historiker Wolffsohn auf die Stichhaltigkeit von Studien zum Thema – doch Moderatorin Maischberger gelang es nicht, die Perspektiven zusammenzuführen. Und apropos Sorgfaltspflicht: Der Sendung hätte es sicherlich gut gestanden, wenn man noch zwei Gäste mehr ins Studio geladen hätte: Die beiden Autoren. Doch das blieb aus.

Kann im Jahr 2017 in Deutschland immer noch nicht über Antisemitismus gesprochen werden? Ein Einwurf von Maischberger ließ das zumindest vermuten und zeigte, dass das die zugespitzte Fragestellung des Talkshow-Formats hier scheitert. Als Blüm und Wolffsohn sich stritten, ging Maischberger beherzt dazwischen: „Die Frage ist ja: Ist jeder, der Israel kritisiert, ein Antisemit?“. Darauf war keine seriöse Antwort möglich. Kein gutes Zeichen.