Berlin. Mit dem Publikum wollte Sandra Maischberger über soziale Gerechtigkeit diskutieren. Dabei gaben zwei Politiker eine schlechte Figur ab.

Es ist das zentrale Thema von Martin Schulz. Der Mann, der nach der Bekanntgabe seiner Kanzlerkandidatur der SPD Höhenflüge in Umfragen verlieh, findet, dass es in Deutschland ungerecht zugeht. Seine Widersacherin, Kanzlerin Angela Merkel, hält dagegen: „Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut“, sagt sie. Wer hat recht?

Diese Frage wollte Talkshow-Gastgeberin Sandra Maischberger am Mittwoch nicht von Politikern oder Expertenrunden diskutieren lassen. Auch wenn mit der SPD-Generalsekretärin Katarina Barley oder dem stellvertretenden Unionsfraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus (CDU) zwei Politiker an der „Publikumsdebatte“ teilnahmen, hatten dieses Mal vor allem Bürger das Wort.

Publikum soll zu Wort kommen

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley.
SPD-Generalsekretärin Katarina Barley. © imago/Horst Galuschka | Horst Galuschka

Man kann vorwegnehmen, dass Maischberger auf ihre Frage keine Antwort erhielt. Schnell wurde während der Sendung klar, dass an diesem Abend auch gar nicht darum gehen sollte, Erkenntnisse zu gewinnen. Maischberger wollte viel mehr „das Thermometer reinhalten, die Stimmung in der Bevölkerung messen“. „Hören, wie die Menschen denken“, wie sie zuvor im Interview mit unserer Redaktion gesagt hatte.

Oft sahen sich die Medien in den vergangenen Monaten „Lügenpresse“-Rufen ausgesetzt. Mit der jetzt zum zweiten Mal angesetzten Publikumsdebatte versuchen die Macher der Sendung den Vorwurf zu entkräften, dass nur noch „die da oben“ zu Wort kommen.

Großes Thema für 75 Minuten Sendezeit

Das Thema der Sendung: „Millionär oder Minijobber: Ist Deutschland ungerecht?“ Maischberger hatte wohl selbst gemerkt, dass das Thema soziale Gerechtigkeit für 75 Minuten Sendezeit zu vielschichtig war. Zu groß war die Redelust derer, die sonst nicht zu Wort kommen. Aber das war gut so.

Da war die vierfache Mutter, die davon berichtete, dass sie keine Vollzeitstelle mehr bekam und seitdem drei Jobs als Putzfrau macht. 1000 Euro verdiene sie. Dem Staat auf der Tasche zu liegen, komme für sie trotzdem nicht in Frage.

Genau wie für den Familienvater, der schilderte, wie das Geld zum Ende des Monats immer knapper wird. Er arbeitet als Krankenpfleger. Fünf Jahre habe er für seine Ausbildung benötigt. Trotz des großen Bedarfs an Pflegekräften gebe es wenig Unterstützung. „Es muss eine Anerkennung geben für das was man tut“, forderte er. Seine Frau, die mit Publikum saß, sei nach dem vierten Kind länger zu Hause geblieben. Seitdem ist er Alleinverdiener.

Lange Aufzählung von Sorgen und Nöten

Einem Rentner aus Berlin platzte dabei der Kragen. „Wenn ich das höre, werde ich krank“, entgegnete er. Jeder sei für sein Leben verantwortlich und solle sich überlegen, was er in seinem Leben falsch gemacht habe. „Es ist nicht die Schuld der Gesellschaft.“

Nachdem sich die Sendung schnell in eine Aufzählung von Nöten und Sorgen verlieren zu schien, ackerte die Gesprächsrunde ein politisches Thema nach dem anderen ab, so dass zeitweise nicht mehr klar wurde, um was es eigentlich genau ging. Der Mindestlohn sei ein Hohn, er müsse auf zwölf Euro erhöht werden, sagte ein Anhänger der Alternative für Deutschland – eine Partei, die viele sozialpolitische Maßnahmen ablehnt und selbst keine eindeutige Meinung zum Mindestlohn zeigt. Die Mütterrente sei unfair und gescheitert, findet wiederum ein anderer. „Die Sozialpolitik der Großen Koalition ist ein Angriff auf alle Arbeitnehmer“, meint er.

Politiker können Publikum nur wenig entgegensetzen

Ralph Brinkhaus, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Ralph Brinkhaus, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. © imago/Horst Galuschka | Horst Galuschka

Sowohl Brinkhaus als auch Barley konnten dem nur wenig entgegensetzen. Sie wirkten inmitten der ganz normalen Leute, von der Putzfrau bis hin zum Unternehmer, eher wie Randerscheinungen. Die Politiker verloren sich in Phrasen, wichen aus, wenn sie konkret befragt wurden – wirklich schade.

Während Barley der Frage nach Erhöhung des Spitzensteuersatzes immer wieder aus dem Weg ging, betonte Brinkhaus, dass man bereits viel erreicht habe, „aber noch nicht am Ende sei“. Dem Mann aus München, der nach einem Schlaganfall wegen der hohen Mietpreise unter der Brücke landete, und von dort jeden Tag zur Arbeit ging, hilft das wenig.

Ungerecht – oder Jammern auf hohem Niveau?

Geht es in Deutschland so ungerecht zu, wie Martin Schulz sagt? Die Antwort bleibt unklar. Es gebe zwar viele Probleme, aber im Vergleich zu anderen Ländern stehe Deutschland gut da, finden viele. Eine Zuschauerin meint: „Oft ist es Jammern auf hohem Niveau.“

Auch wenn sich die Gesprächsrunde im Eiltempo von Thema zu Thema hangelte, waren es am Ende die Zuschauer, die gegenüber den blass gebliebenen Politikern Barley und Brinkhaus die Sendung belebten. Sie zeigten: Dem Format würde es gut tun, öfter Menschen zu Wort kommen zu lassen, die keine Talkshow-Profis sind.