Essen. Die „37 Grad“-Reportage „Das große Vergessen“ im ZDF thematisiert Demenz bei jüngeren Menschen. Informative Doku, die den Ton trifft.

Altersdemenz ist längst kein Tabuthema mehr. Aber erst der oscarprämierte Film „Still Alice“ mit Julianne Moore rief ins Bewusstsein, dass die Krankheit des Vergessens auch jüngere Menschen betreffen kann. In Deutschland sind zwischen 20.000 und 24.000 Männer und Frauen zwischen 45 und 65 Jahren an Demenz erkrankt. Walter Krieg stellt in seiner berührenden „37 Grad“-Reportage zwei Männer vor, die um die 40 waren, als sie aus der Bahn geworfen wurden.

Besonders schmerzlich ist die Geschichte von Florian, den die Krankheit mit 37 ereilt hat. Der Vater zweier Kinder hatte als Kreisjugendpfleger eine verantwortungsvolle Aufgabe, bis er immer öfter durch Aussetzer auffiel und schließlich nicht mehr tragbar war.

Plötzlich wieder Kleinkind

Fatalerweise kam der Mann zunächst in die geschlossene Abteilung einer Psychiatrie, bis endlich an einer Uniklinik seine Krankheit diagnostiziert wurde: Florian, mittlerweile 41 und geschieden, leidet unter Frontotemporaler Demenz, einer Sonderform der Krankheit, bei der jene Hirnregionen betroffen sind, die das Sozialverhalten steuern. Er gerät leicht außer Kontrolle und muss rund um die Uhr betreut werden; seine Eltern haben plötzlich wieder ein Kleinkind. Die entsprechenden Szenen sind erschütternd.

Während „37 Grad“ sonst gern mit mehreren Protagonisten arbeitet, hat sich Krieg klugerweise auf nur zwei Menschen konzentriert, um diese beiden umso ausführlicher vorstellen zu können. Im Gegensatz zu Florian konnte sich der Filmemacher mit Eric unterhalten. Der ehemalige Dachdecker kann selbst schildern kann, wie er die Krankheit erlebt. Eric, Mitte 40, ist heute ein Pflegefall. Er ist mit seiner Frau Waltraud in die Schweiz gezogen, weil sie in Deutschland keine Arbeit gefunden hat.

Keine sozialen Kontakte mehr

Ihre Freunde mussten sie zurücklassen, aber das war kein großer Verlust, wie sie erklärt: Ihre Mitmenschen hätten sich ohnehin immer mehr zurückgezogen. Abgesehen von Waltraud hat Eric keine sozialen Kontakte mehr. Im Gespräch mit Krieg macht er einen sehr klaren Eindruck, was einige seiner Aussagen noch bedrückender macht: Sein Körper sei über 40, sagt er, aber vom Verstand her liege er irgendwo zwischen zwölf und 16 Jahren.

Doch die Gelassenheit täuscht; es wird klar, wie dünnhäutig Eric ist. Krieg verzichtet dennoch auf Szenen, die seine Protagonisten bloßstellen könnten, und zieht sich zurück, als ein Disput zwischen dem Ehepaar zu eskalieren droht.

Ohne Pathos erzählt

Der Kommentar wird überaus angenehm vom Schauspieler Otto Mellies vorgetragen: ohne Pathos, aber auch ohne jede Leutseligkeit. Einzig leidet der Film unter einem Manko, das nicht dem Autor, sondern dem kurzen Sendeplatz anzulasten ist: Die Beiträge beschreiben zwar das Schicksal ihrer Protagonisten, vermitteln aber nur wenige allgemeingültige Informationen über Demenz.

Immerhin äußert sich Florians Arzt zum Krankheitsbild seines Patienten. Im Gedächtnis bleibt vor allem die Prognose: Es gibt keinen Weg zurück.

Fazit: Informative Doku, die den Ton trifft.

ZDF, 28.02., 22.15 Uhr