Berlin. Maybrit Illner konnte ihren Gästen kaum Kritik am US-Präsidenten entlocken. Einer sieht stattdessen eine Sternstunde der Demokratie.

Am Ende wurde es doch noch richtig laut bei „Maybrit Illner“. Der „Bild“-Chef Julian Reichelt und der ehemalige SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck redeten wild aufeinander ein. Sie stritten darüber, ob Platzeck, mittlerweile Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums, russische Propaganda betreibe.

„Diese Art der Denunziation habe ich zuletzt in der DDR erlebt“, entgegnete ein schwer erzürnter Platzeck auf die Unterstellung des Journalisten, womöglich von Russland bezahlt zu werden für seine pro-russischen Statements.

Es war die einzige hitzige Diskussion an einem Abend, der ansonsten ziemlich zahm verlief. Um US-Präsident Donald Trump ging es da schon lange nicht mehr. Vielleicht hatten einfach auch die Gäste genug von dem Thema. Das war fast identisch mit dem der Sendung in der Vorwoche. Da war Illner wegen Krankheit ausgefallen und von Matthias Fornoff vertreten worden.

Die Erkenntnis des Abends

Nur weil in einer Talkrunde zur Abwechslung nicht nur ausnahmslos Trump-Gegner sondern auch Befürworter des neuen US-Präsidenten sitzen, verläuft die Diskussion nicht automatisch spannender. Illner hatte überwiegend Gäste geladen, die, wenn sie den US-Präsidenten nicht direkt unterstützen, doch zumindest einiges von der Trump-Hysterie der letzten Wochen relativieren wollten.

Ob die Moderatorin sich dessen vorher selbst so bewusst war, darf angezweifelt werden. Immerhin hatte die Sendung den hysterischen Titel „Trump macht ernst – Ist dieser Präsident zu stoppen?“ Illner versuchte auch immer wieder, den Eingeladenen die allseits bekannten Schmähungen über den Präsidenten zu entlocken. Nur: Darauf ging kaum einer ein.

„Bild“-Chef vergleicht Trumps Politik mit der deutschen

Stattdessen herrschte größtenteils Einigkeit unter den Gästen, dass vielleicht doch nicht alles ganz so schlimm sei, wie zuletzt von Medien und Politikern suggeriert wurde. Reichelt etwa nannte die deutsche Kritik an Trumps Einreisestopp verlogen. Denn Deutschland fahre in der Flüchtlingspolitik einen ähnlichen Kurs. Platzeck wollte sich nach zwei Wochen noch keinen abschließenden Kommentar zum US-Präsidenten erlauben.

Matthias Platzeck, Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums und ehemaliger SPD-Parteivorsitzender, wollte sich nach zwei Wochen noch keinen abschließenden Kommentar zum US-Präsidenten erlauben.
Matthias Platzeck, Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums und ehemaliger SPD-Parteivorsitzender, wollte sich nach zwei Wochen noch keinen abschließenden Kommentar zum US-Präsidenten erlauben. © imago/Metodi Popow | imago stock&people

Produktiver sei es ohnehin, so der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident, sich selbst kritisch zu fragen, woher die Zustimmung für Politiker wie Trump, Marine Le Pen oder Viktor Orbán komme. Auch Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, sah keinen Anlass zur Panik, dass Trump die amerikanische Verfassung aushebele.

Die große Koalition der Trump-Relativierer störte lediglich Deborah Feldmann, eine amerikanische Autorin, die in Berlin lebt. Sie beklagte vehement die Politik des neuen US-Präsidenten. In der Runde gingen ihre Einwürfe aber meist unter.

Diskussion verlor sich im Allgemeinen

Insgesamt war der Grundtenor der Sendung damit eine erfrischende Abwechslung zu den meisten Trump-Talkrunden der letzter Zeit. Zumal mit Ausnahme des Austro-Amerikaners und Trump-Unterstützers Peter Rough trotzdem keiner der Gäste auf Kritik am Politikstil des neuen US-Präsidenten verzichtete.

Doch fesseln konnte die Diskussion deshalb nicht. Stattdessen waberte sie umher zwischen demokratietheoretischen Fragen, Migrationspolitik und einer Priese Wladimir Putin. Sie verlor sich zu sehr im Allgemeinen, bis sie Trump am Ende ganz vergaß.

Die Überraschung des Abends

„Bild“-Chef Julian Reichelt beobachtet in den USA eine „Sternstunde der Demokratie“.
„Bild“-Chef Julian Reichelt beobachtet in den USA eine „Sternstunde der Demokratie“. © imago/Metodi Popow | imago stock&people

...war Reichelts Aussage, die USA erlebten gerade „eine Sternstunde der Demokratie“. Da muss man erstmal drauf kommen. Andererseits begründete der „Bild“-Chef seine steile These recht überzeugend: So zeigten für ihn die Richtersprüche gegen Trumps Einreisestopp, dass die Justiz sich nicht unter dem Druck des Präsidenten beuge.

In den letzten Tagen habe man gesehen, „dass Trump die Exekutive nicht dazu bringen kann, sich gegen Richtersprüche zu stellen“, so Reichelt. Die Gewaltenteilung sei also intakt. Denn „das System ist extrem belastbar und funktioniert gerade unter großem Druck sehr gut“.

Und wo es gerade schon um den „Bild“-Journalisten geht:

Der Gast des Abends

War Julian Reichelt. Der Mann scheint diese Woche einen Lauf zu haben. Am Dienstag gab der Axel Springer-Verlag bekannt, dass Reichelt von nun an nicht mehr nur Chef von Bild-Digital ist, sondern Vorsitzender der „Bild“-Chefredaktionen wird.

Am Donnerstagabend bei Maybrit Illner dominierte Reichelt nun die Gesprächsrunde nach Belieben. Er redete mit Abstand am meisten, wirkte in seinen Ausführungen sehr durchdacht und hatte auch noch Luft, um mit Platzeck kleine Spitzen wegen dessen Russland-Verbindungen auszutauschen.

Der Satz des Abends

Eine Ehrung gilt auch Platzeck, denn der SPD-Politiker lieferte die wohl eigenartigste Erklärung für das Aufkommen des Populismus: „Die Erotik der Demokratieerlebung haben wir zu weit entfernt von den Menschen.“ Was er damit sagen will, versteht man auch beim zweiten Lesen nicht. Doch der Satz steht beispielhaft für eine Talkrunde, in der vieles allgemein blieb und die Trump zuletzt ganz aus den Augen verlor.