Berlin. Zerstören Hass und Populismus die Demokratie? Diese Frage diskutierte Sandra Maischberger in einer erstaunlichen konstruktiven Sendung.

Sind der aufkeimende Populismus und harte Ton in der politischen Debatten Vorboten für das Ende der Demokratie? Mit Blick auf das Jahr 2016 fragte Sandra Maischberger in ihrer Sendung, ob der Schlagabtausch zwischen „Wutbürgern“ und „Gutmenschen“ den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstört und tatsächlich das demokratische System gefährdet. Wie ruppig ist Deutschland im Jahr 2016?

Für Beispiele für Hass und Anfeindungen aus dem vergangenen Jahr musste die Redaktion bedauerlicherweise nicht lange recherchieren: Sie zeigte Szenen des Tags der Deutschen Einheit in Dresden, bei dem Kanzlerin Merkel Sätze wie „Ferkel hat Mist gebaut“ und „Ab in die Klapsmühle mit der Verbrecherin“ entgegen geschleudert wurden.

Kommunalpolitiker wegen Hassmails zurückgetreten

Dann schaltete Maischberger einen Mann ins Studio, der zeigte, wohin der Hass führen kann: Der SPD-Chef Thomas Purwin aus Bocholt trat nur wenige Stunden zuvor wegen Hassmails von seinem Amt zurück. Das warf die Frage auf: Kann der Rechtsstaat jene nicht mehr schützen, die in Deutschland die Politik gestalten wollen?

„Ich bedauere die Entscheidung sehr, weil sich so die Hetzer durchsetzen“, sagte der Gast Wolfang Bosbach, der nächstes Jahr nicht mehr für den Bundestag kandidiert. Nach 23 Jahren als Abgeordneter beobachtet er eine Verrohung: „Viele Zuschriften, die heute stolz mit Absenderabgabe ankommen, kamen früher bestenfalls anonym.“

„Schönwetter-Demokraten“ ohne Mittel?

Wo liegen die Wurzeln für diesen Hass und die große Verunsicherung? Darum kreiste die Sendung mit den Gästen Wolf von Lojewski, Claus Strunz („Sat. 1-Frühstücksfernsehen“) und Bettina Gaus („taz“) sowie dem Philosophen Richard David Precht. Was ist das für ein Populismus, der die Debatte bestimmt?

„Populismus ist das Viagra einer erschlaffenden Demokratie“, sagte Claus Strunz. „Wir sind alle Schönwetter-Demokraten, denen die Mittel fehlen“, kritisierte der Journalist. Sein Punkt: Wer bei der Bundestagswahl nicht Merkel wählen wolle, müsse sich entweder auf die AfD oder die Linkspartei festlegen. „Alle anderen koalieren ja mit der Kanzlerin.“

Vergleich mit Weimarer Republik

Auch deshalb äußerte der Philosoph Precht Verständnis für die große Verunsicherung und Desillusionierung in der Bevölkerung: „Es gibt ein tiefes, großes Unbehagen, dass unser Modell in eine Richtung führt, auf die die Politik keine Antwort hat. Die Menschen haben zu recht ein komisches Gefühl.“

Er verglich die Lage mit der Weimarer Republik: „Keine Partei bietet eine Zukunftsvision an. Dabei wäre das in Anbetracht einer drohenden Massenarbeitslosigkeit wegen der Digitalisierung nötig.“ Es bräuchte eine völlige Neuerfindung der Demokratie, preschte Precht nach vorne.

Bundespräsidentenwahl als „Perversion von Demokratie“

Die Sendung streifte später Flüchtlinge, Trump und den Brexit. Ihren Erkenntnisgewinn zog sie aber aus der Diskussion im ersten Drittel der Sendezeit. Claus Strunz erklärte das politische Handeln zur Mogelpackung: „Die etablierten Parteien wollen Leuten erklären, dass Demokratie Wahl bedeutet. Demokratie bedeutet aber Auswahl.“ Und eben die gäbe es nicht. „Der Bundespräsident ist da ein schönes Beispiel.“ In den Augen des Journalisten ist die Wahl eine Farce, den Leuten werde Demokratie vorgegaukelt, dabei sei es „die Perversion von Demokratie“.

Schützenhilfe leistete Richard David Precht. „Die Menschen merken, dass was wir hier von uns hinmauscheln.“ Wofür stehe Merkel, wofür Sigmar Gabriel – es fehlten die Konturen. Ein Beispiel, wie es anders geht, lieferte ein Einspieler aus dem Jahr 1985: Der legendäre Kanzlerstreit zwischen Willy Brandt und Helmut Kohl vor laufender Kamera, in dem sich die beiden aufs Schärfste angehen. Er führte vor Augen wohin die unbarmherzige Auseinandersetzung gehört: Nicht auf die Straße, sondern in die Parlamente.