Berlin. „Der heiße Stuhl“ war die Mutter aller Krawall-Talkshows. Seine Rückkehr bei RTL lief gar nicht mal schlecht – bis auf die Hauptfigur.

„Sie sind ein postfaktischer Angstmacher!“, schimpft der eine. „Sie leben in einer Scheinwelt“, keilt der andere zurück, „Sie haben einfach keine Ahnung.“ „Und Sie haben eine Scheinlogik“, schallt es zurück. Das Publikum buht und klatscht. Was tut sich da am späten Montagabend bei RTL? Ganz einfach: „Der heiße Stuhl“ ist wieder da!

Jene Sendung also, die Anfang der 90er-Jahre beim damals noch jungen Privatsender „RTLplus“ zur Mutter aller Krawall-Talkrunden wurde. 159 Folgen lang wurde damals gebrüllt, geschimpft und beleidigt was das Zeug hält. Ausreden lassen war quasi verboten. Lautstärke ging über Inhalte.

Auf dem Stuhl wurden Skandale losgetreten

Der Gast bei Moderator Ulrich Meyer saß damals auf einem unbequemen Stuhl aus Draht. Auf ihm nahmen im Laufe der Jahre unter anderem Angela Merkel, Uta Ranke-Heinemann oder Alexander Schalck-Golodkowski Platz. Zum Skandal kam es, als Rosa von Praunheim 1991 bei laufender Sendung den Komiker Hape Kerkeling als schwul outete. 1994 war dann Schluss mit Krawall, das „heiße“ Sitzmöbel kam ins Bonner „Haus der Geschichte“, das Talkformat in den Giftschrank.

Nun also, nach 22 Jahren Pause, die Neuauflage. Als Hauptfigur auf dem „heißen Stuhl“ sitzt diesmal der Ex-Politiker und Ex-Banker Thilo Sarrazin, der mit seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ 2010 die emotionale Zuwanderer-Debatte ausgelöst hatte, die sich bis heute fortsetzt und die auch diesmal das Thema ist, irgendwie. „Wie sicher ist Deutschland?“, lautet die Frage kurz vor dem Jahrestag der Übergriffe in der Silvesternacht von Köln, Hamburg und anderen Städten.

Ein Argument reicht Sarrazin

Der ehemalige Politiker und Buchautor Thilo Sarrazin konzentrierte sich auf eine einzige These.
Der ehemalige Politiker und Buchautor Thilo Sarrazin konzentrierte sich auf eine einzige These. © ZB | Jens Kalaene

Sarrazin hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Es sei kein Zufall gewesen, dass vor dem Kölner Dom vor allem nordafrikanische Männer Frauen begrapschten und misshandelten. Entscheidend sei die Herkunft aus dem „muslimischen Kulturkreis“. Und er schafft es, sich mit diesem einzigen Argument auf dem Stuhl zu halten: „Muslimische Männer sind häufiger gewalttätig als andere Männer. Immer machen Türken und Araber die Probleme“, so Sarrazin, der schlecht vorbereitet scheint und insgesamt eine schwache Vorstellung abliefert.

„Wir gießen kein Öl ins Feuer, sondern wollen im Gegenteil mit diesem Format für mehr Aufklärung sorgen“, hatte RTL-Chefredakteur Michael Wulf anlässlich der Wiederbelebung des Talk-Formats im Vorfeld versprochen. Es solle „konfrontativ und intensiv debattiert werden“, so die RTL-Ankündigung.

Quartett greift Thilo Sarrazin an

Das mit der Aufklärung klappt beim Neustart noch nicht so. Für die Konfrontation mit Sarrazin sorgen sollte unter Moderation von Steffen Hallaschka ein Quartett:

Die muslimische Buchautorin Khola Maryam Hübsch. Sie attackiert Sarrazin scharf: „Sie haben dazu beigetragen, dass dieses Land vergiftet wird.“

Der Grünen-Politiker Kai Gehring. Er gibt dem Buchautor contra: „Sie haben ein islamophobes Weltbild!“

Der Polizeigewerkschafter Arnold Plickert. Er hält Sarrazin entgegen: „Nicht alle Muslime sind in dieses Raster einzuordnen.“

Die Schauspielerin Annabelle Mandeng. Sie ist um verbale Abrüstung bemüht: „Wir müssen zu einem Konsens kommen. Die Flüchtlingssituation ist so wie sie ist.“

Das Fazit: Das alte Format „Einer gegen Vier“ wirkte überraschend frisch. „Der heiße Stuhl“ glühte bei seiner Rückkehr nicht, könnte aber wieder auf Temperatur kommen. Voraussetzung dafür ist eine Hauptfigur, die sich nicht – wie Thilo Sarrazin – krampfhaft an eine These klammert, sondern schlagfertig und eloquent dagegenhält. Dafür darf’s auch ruhig ein bisschen krawallig sein.