Berlin. „Manchmal sagen die mir auch nicht alles“: Bei Anne Will zeigt sich anhand der Rentenpläne, dass SPD und Union längst Wahlkampf führen.

Lange Zeit war sie in den Hintergrund getreten, nun ist sie zurück: Die Sozialpolitik schickt sich in diesen Tagen an, zum wichtigen Thema im Bundestagswahlkampf 2017 zu werden. Sollte die Flüchtlingskrise nicht erneut aufkommen, könnten Themen wie die Rente sogar entscheidend sein.

In diesem Kontext stellte Arbeitsministerin Nahles am Freitag die in der großen Koalition vereinbarte Rentenreform vor: Die Zahlungen in Ost und West sollen bis 2025 angeglichen werden, zudem wird etwas bei der Erwerbsminderungsrente und bei den Betriebsrenten getan. Doch reicht das? Diese Frage richtete Anne Will am Sonntagabend unter anderem an Nahles selbst.

Nahles’ unbegründete Abfuhr

Die Konstellation war interessant, weil die SPD-Ministerin bei dem „Reförmchen“ eine tragische Rolle spielt. Einerseits geht das Beschlossene auf ein großes Konzept von Nahles zurück; andererseits wurden große Teile ihres Vorhabens von CDU und CSU gestoppt. Dabei lief Nahles in ein offenes Messer, denn der Impuls zu den weitreichendsten Punkten ihres Plans, etwa die Einfrierung des Rentenniveaus bei 46 Prozent, war von CSU-Chef Horst Seehofer gekommen.

Entsprechend frustriert wirkte die Ministerin bei Anne Will. „Wer A sagt, muss auch B sagen“, sagte Nahles mit Blick auf Seehofer. Der bayerische Ministerpräsident scheue schlicht die Kosten, die von ihr ehrlich benannt worden seien. Der Ärger ist verständlich, schließlich war es auch die Union, die zuletzt deutlich vor den Problemen im Rentensystem warnte. Wieso also der Rückzieher? Eine Begründung für die Abfuhr erhielt Nahles nach eigenem Bekunden nicht. „Manchmal sagen die mir auch nicht alles“, erklärte die Arbeitsministerin einem verblüfften Publikum die Kommunikation mit ihrem Koalitionspartner.

Bartsch: „Die Koalition ist am Ende“

Überhaupt ist die Erarbeitung des „Reförmchens“ ein Beispiel dafür, dass SPD und Union längst im Wahlkampfmodus sind. Bei der Kommunikation der Pläne widersprachen sich Arbeits- und Finanzministerium: Während Wolfgang Schäubles Ressort die Angleichung der Ost-West-Renten aus Beitragsmitteln finanzieren will, kündigte Nahles’ Sprecherin eine Finanzierung aus Steuergeldern an.

Dieser öffentliche Streit ist noch immer nicht geklärt – ein wunder Punkt, in den Dietmar Bartsch gerne einen Finger legte. „Das ist ein Armutszeugnis, die Koalition ist am Ende“, sagte der Fraktionschef der Linken. „Wenn man sowas nicht vorher klärt – Sie wissen das ja alles selber, Frau Nahles, ich sage nichts mehr.“

Der wichtigste Gedanke

Für frische Perspektiven abseits des parteipolitischen Kampfes sorgte die Journalistin Elisabeth Niejahr. „Altersarmut ist nicht das größte soziale Problem, sondern Kinderarmut“, sagte die Hauptstadtkorrespondentin der Zeit. Womit sie recht hat: In Deutschland lebten zuletzt fast 15 Prozent der Kinder in Armut; unter den Rentnern waren es drei Prozent.

Zugleich warnte Niejahr die Parteien davor, falsche wahlkampftaktische Entscheidungen zu treffen. „Politiker denken, sie könnten mit einer solchen Politik die Alten für sich gewinnen.“ Der Eindruck sei aber falsch, weil viele Ältere diese Politik unfair fänden, obwohl sie ihnen Vorteile verschaffe.

Der markigste Spruch

Kam von Dietmar Bartsch, der den von Niejahr formulierten Gedanken populistisch, aber irgendwie doch sehr zutreffend aufnahm: „In diesem Land gibt es obszönen Reichtum, über den müssen wir reden. Dann haben wir weder Kinder- noch Altersarmut.“

Der Erkenntnisgewinn

Fiel übersichtlich aus: Alle sind sich einig, dass mehr notwendig ist. Doch scheitert der große Wurf mal wieder am politischen Mut, und das, obwohl in den kommenden Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in die Rente eintreten werden.

Die Diskussion war trotzdem wichtig, weil sie zeigte, dass der nächste große Schritt nicht länger auf sich warten lassen darf. Die Angleichung der Ost-West-Renten wird am Ende 25 Jahre gedauert haben. So viel Zeit ist nicht mehr.

Die vollständige Sendung können Sie hier noch einmal anschauen.