Berlin. Arm trotz Arbeit: Immer mehr Menschen fühlen sich abgehängt. Über die fatalen Folgen diskutierten die Gäste von Sandra Maischberger.

Es klingt wie ein Widerspruch: Trotz leichten Aufschwungs am europäischen Arbeitsmarkt, schlittern immer mehr Menschen mit Vollzeitanstellung laut einer aktuellen Bertelsmann-Studie in die Armut. Droht sich da eine ganze Klasse der Geringverdiener, der working poor, von der Gesellschaft abzuspalten?

„Armes reiches Deutschland: Einmal unten, immer unten?“: Diese Frage diskutierte Sandra Maischberger mit ihren sechs Gästen. Das waren Jochen Schweizer, Investor aus der Sendung „Die Höhle der Löwen“, Katja Kipping, Parteivorsitzende der Linken, Dorothea Siems, Wirtschaftsredakteurin bei der „Welt“, und Georg Cremer, der Generalsekretär des Deutschen Caritasverbands. Zudem berichteten zwei Betroffene von ihren Erfahrungen. Doch leider warfen sich die Diskutanten eher ideologische Phrasen an den Kopf, als dass sie ernsthaft nach Lösungen gesucht hätten.

Die Grundlage des Talks

Eine im November veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass in der EU immer mehr Menschen trotz eines Vollzeitjobs von Armut bedroht sind. Ihr Anteil unter den Vollzeitbeschäftigten in den EU-Ländern stieg von 7,2 Prozent im Jahr 2013 auf 7,8 Prozent im vergangenen Jahr.

„Ein steigender Anteil von Menschen, die dauerhaft nicht von ihrer Arbeit leben können, untergräbt die Legitimität unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung“, heißt es seitens der Stiftung.

Die harte Arbeits-Realität

Der Gast Jutta Czekay ist Multijobberin in Berlin. Sie arbeitet als Putzfrau und zusätzlich auf Minijobbasis bei einer Essensausgabe. Trotz der Doppelbelastung lebt sie als Alleinerziehende mit ihren drei Töchtern von rund 1200 Euro im Monat. „ Hält sie das bis 67 aus? Nein, schüttelt sie den Kopf. „Das ist Knochenarbeit.“

Auch der ehemalige Industriearbeiter Klaus Milchau aus Dortmund klagt über den fatalen Strukturwandel in seiner Region. „Arbeitsplätze, die wegfallen sind auf Dauer weg“, sagt der 66-jährige Mitinitiator der Montagsdemonstrationen in Dortmund. Es gebe kaum mehr Wertschöpfung. „Der Wert der Arbeit und auch die Wertschätzung sind verloren gegangen.“

Investoren-Guru: Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied

In anderen Sphären schwebte offenbar der hochmotivierte Jochen Schweizer, der etwas von einem Guru hatte: Schweizer redete vom „inneren Mindset“ und meinte wohl die innere Einstellung. „95 Prozent unserer Ängste sind irrelevant und hindern uns daran, wofür wir geboren worden sind“. Jeder sei der Unternehmer seines eigenen Lebens. Damit war er ziemlich weit entfernt von der Lebensrealität von Mini- und Multijobbern.

Die Kritik an der Armuts-Debatte

Georg Cremer, der Generalsekretär Deutscher Caritasverband sprach von einer Diskussion, die unnötig Ängste schüre und damit den Populisten das Wort rede. „Auch Auszubildende und Studenten zählen zu den angeblichen zwölf Millionen Armen in Deutschland“, so Cremer. Das sei Panikmache und verunsichere die Bevölkerung. „Die Mitte zerbricht nicht“. Dennoch müsse man sich einzelne „Problemgruppen“ anschauen: Alleinerziehende, Ältere Menschen in Armut und Jobber aus dem Niedriglohnsektor.

Die Frontlinie der Diskussion verlief vor allem zwischen Katja Kipping auf der einen Seite und der Redakteurin Siems bzw. Caritas-Generalsekretär Cremer auf der andere Seite. „Seit Hartz IV ist die unsichere Arbeit stark angestiegen“ so Kipping. Siems hielt dagegen: Zur Unterschicht zählten derzeit rund zwei Prozent der Bevölkerung, Mitte der Nullerjahre seien es noch sieben Prozent gewesen – dank Hartz IV.

Neoliberale Argumentation: Der Markt bestimmt Gehälter

Kipping kritisierte auch die sogenannten Mond-Gehälter. In einem Unternehmen sollte das höchste Einkommen nicht mehr als das 20-fache des niedrigsten betragen. „Die hohen Manager-Gehälter sind privat und vom Besitzer bezahlt“, sagte Siems. „Ich verstehen nicht, warum man sich da einmischt. Das bestimmt der Markt. Auch bei Fußballspielern regt sich doch niemand auf.“

Ein sehr treffendes und selbstkritisches Schlusswort fand Caritas-Generalsekretär Cremer: „Wir haben wieder eine Diskussion geführt, in der die Armen nicht vorkommen und was man für sie konkret tun kann.“ Recht hatte er.