Berlin. Der WDR-Redakteur erfand den „Tatort“ quasi im Alleingang. Im Interview erzählt er, wie es dazu kam und welche Hürden er überwand.

Der „Tatort“ wurde von einem einzelnen Redakteur erfunden: Gunther Witte vom WDR. Dass der Kommissar die Hauptfigur ist und es immer auch um ein gesellschaftliches Problem geht, war seine Idee. Für das Regionalprinzip hatte er ein Vorbild aus seiner Jugend.

1969 bekam er den Auftrag, eine Krimiserie zu erfinden. Wie das damals in Köln vor sich ging, erzählt der 81-jährige Berliner in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Geburtsort des „Tatorts“ war der Decksteiner Weiher in Köln, nicht wahr?

Die Filmszene aus der ersten
Die Filmszene aus der ersten "Tatort"-Folge "Taxi nach Leipzig" zeigt Hauptkommissar Paul Trimmel (Walter Richter, r), der von Erich Landsberger (Paul Albert Krumm) mit der Pistole bedroht wird. © dpa | NDR/Scharlau

Gunther Witte: Nein, nicht der Decksteiner Weiher, der Stadtwald! Es begann damit, dass mein Chef Günter Rohrbach meinen Kollegen Peter Märthesheimer und mich zu einem Spaziergang in den Stadtwald einlud. Was uns verblüfft und irritiert hat.

Sie ahnten, da ist was im Busch?

Witte: Ja, und so war es dann auch. Damals war das ZDF ja noch ganz frisch und hat auf dem Gebiet der Unterhaltung unheimlich viel gemacht. Da mussten wir was dagegenhalten, und das war der Anlass für den Spaziergang. Märthesheimer bekam den Auftrag, eine Familienserie zu entwickeln, und ich bekam den Auftrag, eine Krimiserie zu entwickeln. Was mich etwas verblüffte.

Star-Auflauf bei der „Tatort“-Party

1000 Folgen „Tatort“. Das muss gefeiert werden! Dietmar Bär, Klaus J. Behrendt und Ulrike Folkerts (v.l.) zelebrierten das Event mit anderen „Tatort“-Kollegen in Hamburg.
1000 Folgen „Tatort“. Das muss gefeiert werden! Dietmar Bär, Klaus J. Behrendt und Ulrike Folkerts (v.l.) zelebrierten das Event mit anderen „Tatort“-Kollegen in Hamburg. © Getty Images | Christian Augustin
Auch Axel Milberg, Wotan Wilke Möhring, Franziska Weisz, Maria Furtwängler, Fahri Yardim und Matthias Brenner kamen zu der Party im Hamburger Cinemaxx Dammtor.
Auch Axel Milberg, Wotan Wilke Möhring, Franziska Weisz, Maria Furtwängler, Fahri Yardim und Matthias Brenner kamen zu der Party im Hamburger Cinemaxx Dammtor. © Getty Images | Christian Augustin
Die Stimmung bei den Schauspielern war ausgelassen, wie Maria Furtwängler und Axel Milberg unter Beweis stellten.
Die Stimmung bei den Schauspielern war ausgelassen, wie Maria Furtwängler und Axel Milberg unter Beweis stellten. © dpa | Axel Heimken
Das Bremer „Tatort“-Duo: Sabine Postel und Oliver Mommsen.
Das Bremer „Tatort“-Duo: Sabine Postel und Oliver Mommsen. © Getty Images | Christian Augustin
Die Kölner „Tatort“-Kommissare Schenk und Ballauf – oder besser gesagt die Schauspieler Dietmar Bär und Klaus J. Behrendt.
Die Kölner „Tatort“-Kommissare Schenk und Ballauf – oder besser gesagt die Schauspieler Dietmar Bär und Klaus J. Behrendt. © Getty Images | Christian Augustin
Wotan Wilke Möhring hatte Spaß.
Wotan Wilke Möhring hatte Spaß. © Getty Images | Christian Augustin
Auch Franziska Weisz enterte den roten Teppich.
Auch Franziska Weisz enterte den roten Teppich. © Getty Images | Christian Augustin
Harald Krassnitzer und Adele Neuhauserwaren ebenfalls nach Hamburg gekommen.
Harald Krassnitzer und Adele Neuhauserwaren ebenfalls nach Hamburg gekommen. © Getty Images | Christian Augustin
Fahri Yardim posierte vor dem „Tatort“-Logo.
Fahri Yardim posierte vor dem „Tatort“-Logo. © Getty Images | Christian Augustin
Auch Barbara Schöneberger wollte bei der Feier dabei sein.
Auch Barbara Schöneberger wollte bei der Feier dabei sein. © Getty Images | Christian Augustin
Schauspieler Felix Klare spielt den Stuttgarter „Tatort“-Ermittler Sebastian Bootz.
Schauspieler Felix Klare spielt den Stuttgarter „Tatort“-Ermittler Sebastian Bootz. © Getty Images | Christian Augustin
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Sie waren kein Krimiexperte?

Witte: Nein. Aber ich war schon immer ehrgeizig. Und habe dann nachgedacht, wo im Leben ich Begegnungen mit Krimis in den Medien hatte. So viel gab's damals ja noch nicht. Aber ich erinnerte mich, dass ich als Oberschüler in Ostberlin unheimlich viel Rias gehört habe. Und da gab es eine Serie „Es geschah in Berlin“. Die folgte echten Fällen, war aber auch speziell ausgelegt auf den Ort Berlin. Und da begann es bei mir ein bisschen zu rasseln.

Die Geburt des „Tatort“-Regionalprinzips...?

Die 1000. „Tatort“-Folge spielt auch in einem Taxi: Rainald Klapproth (Florian Bartholomäi, re.) hat die Kommissare Lindholm (Maria Furtwängler, li.) und Borowski (Axel Milberg, Mitte) entführt.
Die 1000. „Tatort“-Folge spielt auch in einem Taxi: Rainald Klapproth (Florian Bartholomäi, re.) hat die Kommissare Lindholm (Maria Furtwängler, li.) und Borowski (Axel Milberg, Mitte) entführt. © NDR/Meyerbroeker | NDR

Witte: Ja, der nächste Schritt war dann, dass ich mich gefragt habe, wie kann ich es sinnvoll übertragen, ohne etwas nachzuäffen? Und da kam mir dann die Idee zu sagen: Ich will da alle ARD-Sender drin haben. Das hatte die Vielfalt zur Folge - und, ganz wichtig, die Möglichkeit, die einzelnen Sender das machen zu lassen, was sie wollten. Weil man sie sonst garantiert nicht - und dann auch noch vom WDR initiiert - unter einen Hut bekommen hätte.

Die anderen beiden Eckpfeiler neben dem Regionalprinzip waren, dass immer die Figur des Kommissars im Mittelpunkt steht und jede Folge ein gesellschaftspolitisch relevantes Thema behandeln soll. Stimmt es, dass der Bayerische Rundfunk das zunächst nicht wollte?

Witte: Dem hatte ich vorgebaut. Ich hatte mir lange überlegt, wie ich das formuliere, um den BR nicht vor den Kopf zu stoßen. Und dann habe ich die Formulierung gefunden: „Die Geschichten müssen in unserer Gesellschaft glaubhaft und möglich sein.“

Im Rückblick spiegeln die „Tatorte“ die Geschichte der Bundesrepublik.

Witte: Ja, der Dietmar Bär soll gesagt haben: Wenn mal einer aus dem All käme und sich ein Bild über die Vergangenheit verschaffen wollte, bräuchte man dem nur alle „Tatorte“ zu zeigen, dann wüsste er, was los war.

Wenn man sich heute zum Beispiel die alten Schimanski-Folgen ansieht: Diese Industriekulissen gibt es überhaupt nicht mehr, die sind weg.

Witte: Ja, und zwar ohne dass man's groß bemerkt hat. Schimanski hat ja viel mit dem Klima im Land zu tun, mit '68.

Schimanski war Ihr Lieblingskommissar, nicht wahr?

Gunther Witte
Gunther Witte © dpa | Georg Wendt

Witte: Ja, ist er immer noch. Aber man muss ehrlicherweise auch sagen: Er war nicht der quotenmäßig erfolgreichste. Er hat ja sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen.

Interessant ist, wie sich die Städte heute darum reißen, einen „Tatort“-Kommissar zu bekommen, während es in den 80ern immer hieß: Schimanski bringt Duisburg und das Ruhrgebiet in Verruf.

Witte: Ja, wobei es da einen Oberbürgermeister in Duisburg gab, der von Anfang an auf der Seite von uns, von Schimanski stand. Ohne dessen Hilfe wäre das sehr schwer geworden.

Sie meinen Josef Krings.

Witte: Genau.

So ganz groß ist der „Tatort“ ja erst in den letzten Jahren geworden. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Witte: Nein, ich habe auch keine. Das einzig Konkrete, was es dazu gibt: Es hat so richtig angefangen mit den beiden Münsteranern.

Mit welchen Gefühlen schauen Sie heute „Tatort“? Es ist Ihr Kind, aber es ist jetzt in den Händen von anderen.

Witte: Zunächst einmal bin ich ein Fernsehzuschauer, der sehr, sehr gern „Tatort“ guckt. Und dass ich das erfunden habe, darüber freue ich mich einfach.

ZUR PERSON: „Tatort“-Erfinder Gunther Witte (81) wuchs in Berlin auf. Nach dem Studium der Theaterwissenschaften und einem Engagement in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) wechselte er 1961 in den Westen und wurde Dramaturg beim WDR, später auch Fernsehspielchef. Heute lebt der Grimme-Preisträger wieder in Berlin. (dpa)