Asyl

Wie Flüchtlinge in Hamburg zu Medienprofis werden

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Juliane Kmieciak
Zwei der Kursteilnehmer: die afghanische Journalistin Zahra Sadat und der Filmemacher Aamar Najjar aus Syrien

Zwei der Kursteilnehmer: die afghanische Journalistin Zahra Sadat und der Filmemacher Aamar Najjar aus Syrien

Foto: Andreas Laible / HA

Die Hamburg Media School bietet bundesweit einzigartig ein Weiterbildungsprojekt an, um berufliche Perspektiven zu verbessern.

Hamburg.  „Was bedeutet das Wort Zweifel?“, fragt ein junger Mann und blickt auf das Blatt Papier vor ihm. Es ist eines der zentralen Worte des heutigen Tages, an dem es um das Selbstverständnis von Journalisten ­gehen soll. Wie wichtig sind Neugier, Haltung und eben Zweifel?

Die zwölf jungen Menschen, die hier in einem Klassenraum der Hamburg Media School in Barmbek dem ­Referenten zuhören, haben gemeinsam, dass sie erst vor kurzer Zeit als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Weitere Gemeinsamkeit: Alle ­haben schon in ihren Herkunftsländern im Bereich Medien gearbeitet – als ­Kameraleute, Journalisten, Fotografen, Blogger, Roman- und Drehbuchautoren, Regieassistenten oder Grafikdesigner. Hier, an der Hamburg Media School (HMS) lernen sie, wie die Medienlandschaft in Deutschland funktioniert, um auch hier in ihrem Beruf weiterarbeiten zu können.

Das Projekt der Hamburg Media School (HMS) ist deutschlandweit einzigartig. Im April dieses Jahres startete die Bildungseinrichtung an der Finkenau das Weiterbildungsprojekt „Digitale Medien für Flüchtlinge“, kurz DMF. Die Idee: In sechs Monaten erhalten die Teilnehmer Unterricht und Fachkenntnisse in Theorie und Praxis rund um Film, Medienmanagement und Journalismus. Im Anschluss daran folgt ein Praktikum, das die HMS vermittelt. Das Programm ist gebührenfrei und bislang ausschließlich spendenfinanziert, die Dozenten arbeiten ohne Honorar. Ziel des Programms ist es, dass die Teilnehmer ihre erlernten Berufe in Deutschland wieder aufnehmen können oder ­gegebenenfalls besser ausgebildet wieder in ihre Heimatländer zurückkehren können.

Die Aufnahmebedingungen haben nichts mit Schulnoten, Referenzen und Zeugnissen zu tun. Die Kriterien waren Flucht, Medienerfahrung, Deutschkenntnisse – „und Haltung“, wie Koordinatorin Tina Fritsche betont. „Uns war es wichtig, wie die Teilnehmer über Diversität, Menschenrechte und Gleichbehandlung denken.“

Rund 100 Geflüchtete bewarben sich auf die 15 Plätze. Geschafft haben es elf Männer und vier Frauen aus Syrien, Afghanistan, Ruanda, Kolumbien und dem Iran. Einige sind bereits früher ausgeschieden, weil sie bereits ein Jobangebot bekommen hatten.

Zwei der Teilnehmer sind der 31-jährige Aamar Najjar aus Syrien und die 29-jährige Zahra Sadat aus Afghanistan. Aamar hat bis zu seiner Flucht als Regieassistent und Regisseur für TV-Serien und Spielfilme in Syrien, im Libanon, in Ägypten und Algerien gearbeitet. Zahra arbeitete in Afghanistan als Journalistin und Frauenrechtsaktivistin. Beide sind seit 2014 in Deutschland und haben die Sprache im Eiltempo gelernt.

Als Zahra noch keinen Anspruch auf einen Deutschkursus hatte, brachte sie sich die Sprache selbst bei und schaffte aus dem Stand die C1-Prüfung – das zweithöchste Sprachniveau, das etwa für ein Studium gefordert wird. „Ich habe hier in den vergangenen Monaten extrem viel gelernt“, sagt sie. „Vor allen Dingen darüber, wie die Medienlandschaft in Deutschland organisiert ist, welche Regeln es gibt, vom Umgang mit Zitatabstimmungen bis hin zum Urheberrecht.“ Der größte Unterschied zu ihren Heimatländern: „Hier arbeiten die meisten Medien unabhängig. Das gibt es in Afghanistan praktisch nicht. Die gehören dort Parteien oder der Regierung und werden von denen auch kontrolliert.“ Ähnlich berichtet auch Aamer: „Alle Drehbücher werden in meiner Heimat auf kritische Aussagen geprüft und gegebenenfalls auch zensiert.“

Positives Fazit der vergangenen Monate

Deutsche Medien konsumieren beide regelmäßig und vor allen Dingen online. Auch die Berichterstattung über die Krisenregionen, aus denen sie kommen, verfolgen sie, bisweilen auch mit etwas Verwunderung. Aamer etwa findet die Berichterstattung oft einseitig. „Die Berichte sind oft entweder nur gegen Assad oder nur gegen die Gegner, aber viel zu selten wird wirklich ausgewogen berichtet.“ Auch Zahra ist nicht immer glücklich über Artikel zum Thema Afghanistan. „Teilweise habe ich den Eindruck, dass über viele wichtige Themen nicht berichtet wird, obwohl die Zahl der afghanischen Flüchtlinge in Deutschland so groß ist.“

Zahra möchte so bald wie möglich als freie Journalistin in Hamburg arbeiten, vielleicht auch ­begleitend zu einem Studium. Demnächst beginnt sie ein Praktikum bei „Spiegel Online“. Auch Aamer hat Pläne. Nach der Hamburg Media School macht er zunächst ein Praktikum bei einer bekannten Hamburger Produktionsfirma und soll dort bei TV-Dokumentationen mitwirken.

Koordinatorin Tina Fritsche zieht ein durchweg positives Fazit der vergangenen Monate. „Ich habe die Kollegen als sehr motiviert und professionell erlebt. Sie waren allesamt wissbegierig und neugierig auf Deutschland und deutsche Medien.“ Medienaffine Flüchtlinge hier fachlich zu unterstützen hält sie für wichtig. „Die Kollegen bringen viel kulturelles Wissen und Sprachfähigkeiten mit, von denen die Redaktionen und Verlage nur profitieren können. Außerdem können die Kollegen auch als Multiplikatoren in Richtung der Flüchtlings-Communitys kommunizieren, was ich für sehr wichtig halte.“ Aus dieser Überzeugung heraus und durch die positiven Erfahrungen mit diesem Weiterbildungsprojekt entschloss sich die Hamburg Media School übrigens, einen zweiten Kursus anzubieten, der bereits läuft.

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