Essen/Berlin. Mit „Terror“ zeigt die ARD einen Rechtsdiskurs als Debatten-Thriller. Und Zuschauer werden am Ende zu Schöffen. Fabelhafte 90 Minuten.

Darf man 164 Menschen das Leben nehmen, wenn man sicher ist, damit Zigtausenden das Leben zu retten? Wägt man kleinere gegen größere Übel ab oder unterwirft man sich einer Verfassung, die das Töten grundsätzlich verbietet? Das sind die ungeheuerlichen Fragen, die im Gewand einer Gerichtsverhandlung den Kern einer viel größeren Auseinandersetzung freilegen: In welchem Staat wollen wir eigentlich leben?

Ferdinand von Schirach stellt die Fragen in seinem Theaterstück „Terror“, dem größten Bühnenerfolg dieser Tage. Produzent Oliver Berben und Regisseur Lars Kraume haben es zu einem Fall für das Fernsehen gemacht, und ja, es ist das TV-Ereignis geworden, das die ARD nun schon eine Weile bejubelt.

Starke Schauspieler

Kraumes Kammerspiel verlässt den Gerichtssaal nicht, dabei gäbe es aufwühlende Bilder der Vorgeschichte zu zeigen. Ein Flugzeug wird entführt, um es in ein Stadion zu lenken, es kommt womöglich zu Kämpfen an Bord, gar dem Versuch, das Cockpit zu stürmen. Kampfpiloten versuchen vergeblich, die Maschine abzudrängen, einer schießt sie schließlich ab.

Kraume aber konzentriert alles auf den Prozess gegen den Piloten, weil er die Emotionen herunterkühlen will: Der Zuschauer soll zum Schöffen werden, nur das in seine Beurteilung einfließen lassen, was er im Gerichtssaal hört. Tatsächlich soll er am Ende telefonisch oder online abstimmen: Ist der junge Mann schuldig oder nicht? Direkt nach dem Film, in „Hart, aber fair“, das den fiktiven Fall diskutiert, wird das Ergebnis vom Richter des Films verkündet. Beide Schlussvarianten – schuldig oder unschuldig – wurden vorab gedreht.

„Terror“ – Das TV-Drama im Gerichtssaal

Die Protagonisten des ARD-Films „Terror“, der auf Grundlage des gleichnamigen erfolgreichen Bühnenstücks von Ferdinand von Schirach entstand: Florian David Fitz (vorn) als Eurofighter-Pilot Lars Koch, sein Verteidiger (Lars Eidinger, li.), die Staatsanwältin (Martina Gedeck) und der Richter (Burghart Klaußner).
Die Protagonisten des ARD-Films „Terror“, der auf Grundlage des gleichnamigen erfolgreichen Bühnenstücks von Ferdinand von Schirach entstand: Florian David Fitz (vorn) als Eurofighter-Pilot Lars Koch, sein Verteidiger (Lars Eidinger, li.), die Staatsanwältin (Martina Gedeck) und der Richter (Burghart Klaußner). © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Der gesamte Film spielt in einem Gerichtssaal. Die Frage, die zu klären ist: Durfte der Pilot die von einem Terroristen gekaperte Lufthansamaschine abschießen, um so die 70.000 Zuschauer in einem Fußballstadion zu retten, auf das der Entführer die Passagiermaschine vermutlich stürzen lassen wollte?
Der gesamte Film spielt in einem Gerichtssaal. Die Frage, die zu klären ist: Durfte der Pilot die von einem Terroristen gekaperte Lufthansamaschine abschießen, um so die 70.000 Zuschauer in einem Fußballstadion zu retten, auf das der Entführer die Passagiermaschine vermutlich stürzen lassen wollte? © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
So viel Symbolik musste wohl sein: Durch die Fensterfront hinter der Richterbank ist die Kulisse des Reichstagsgebäudes zu sehen.
So viel Symbolik musste wohl sein: Durch die Fensterfront hinter der Richterbank ist die Kulisse des Reichstagsgebäudes zu sehen. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Der Strafverteidiger Biegler (Lars Eidinger) versucht, das moralische Dilemma seines Mandanten zu verdeutlichen. Doch kann man Menschenleben gegeneinander aufwiegen? Das ist eine der zentralen Fragen des Films.
Der Strafverteidiger Biegler (Lars Eidinger) versucht, das moralische Dilemma seines Mandanten zu verdeutlichen. Doch kann man Menschenleben gegeneinander aufwiegen? Das ist eine der zentralen Fragen des Films. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Das Gericht spricht sein Urteil – über das die Fernsehzuschauer vorher abgestimmt haben. So war es auch bei dem Bühnenstück, bei dem die Theaterbesucher über das Urteil für den Eurofighter-Piloten entschieden. Der Kiepenheuer Verlag veröffentlichte eine Statistik, nach der die Theaterbesucher in 25 Theatern zu 59,5 Prozent für einen Freispruch votierten.
Das Gericht spricht sein Urteil – über das die Fernsehzuschauer vorher abgestimmt haben. So war es auch bei dem Bühnenstück, bei dem die Theaterbesucher über das Urteil für den Eurofighter-Piloten entschieden. Der Kiepenheuer Verlag veröffentlichte eine Statistik, nach der die Theaterbesucher in 25 Theatern zu 59,5 Prozent für einen Freispruch votierten. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Burghart Klaußner spielt den Vorsitzenden Richter nüchtern und ohne Pathos.
Burghart Klaußner spielt den Vorsitzenden Richter nüchtern und ohne Pathos. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Für die Staatsanwältin (Martina Gedeck) steht fest: Ein Abwägen nach dem „kleineren Übel“ ist keine Rechtfertigung, um Menschenleben zu opfern.
Für die Staatsanwältin (Martina Gedeck) steht fest: Ein Abwägen nach dem „kleineren Übel“ ist keine Rechtfertigung, um Menschenleben zu opfern. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Die Anklägerin plädiert für eine Verurteilung des Bundeswehr-Piloten wegen Mordes in 164 Fällen.
Die Anklägerin plädiert für eine Verurteilung des Bundeswehr-Piloten wegen Mordes in 164 Fällen. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Der Verteidiger (Lars Eidinger) plädiert auf „unschuldig“, denn sein Mandant habe in einem „übergesetzlichen Notstand“ gehandelt.
Der Verteidiger (Lars Eidinger) plädiert auf „unschuldig“, denn sein Mandant habe in einem „übergesetzlichen Notstand“ gehandelt. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
 Der Angeklagte Eurofighter-Pilot Lars Koch (Florian David Fitz) wusste, dass der Abschuss der von Terroristen gekaperten Maschine nicht durch Recht und Gesetz gedeckt war. Trotzdem feuerte er die Rakete ab – um noch weit mehr Opfer zu verhindern.
Der Angeklagte Eurofighter-Pilot Lars Koch (Florian David Fitz) wusste, dass der Abschuss der von Terroristen gekaperten Maschine nicht durch Recht und Gesetz gedeckt war. Trotzdem feuerte er die Rakete ab – um noch weit mehr Opfer zu verhindern. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Der Angeklagte sitzt zunächst in einem Glaskasten in dem Gerichtssaal. Später nimmt er neben seinem Verteidiger Platz.
Der Angeklagte sitzt zunächst in einem Glaskasten in dem Gerichtssaal. Später nimmt er neben seinem Verteidiger Platz. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Verteidigung und Anklage vertreten komplett andere Auffassungen. Wer wird sich bei den Zuschauern durchsetzen?
Verteidigung und Anklage vertreten komplett andere Auffassungen. Wer wird sich bei den Zuschauern durchsetzen? © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
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Die Crème der deutschen Schauspielkunst ist aufgeboten, um den klugen Stoff mit seinen komplexen Fragestellungen zusätzlich zu veredeln; durch die Kamera kommen wir den Figuren näher, als es im Theater möglich wäre. Dabei reduzieren auch die Darsteller ihre Mittel spürbar, um von der Lehrstunde über Recht und Moral nicht zu stark abzulenken, die Schirachs Vorlage Satz für Satz mit hoher verbaler Präzision bietet.

Vermeintliche Gewissheiten landen im Schleudergang einer Debatte, die fesselnder ist als das Urteil selbst. Martina Gedeck gibt als Staatsanwältin die beharrliche Hüterin geltenden Rechts und verteidigt das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, wonach Menschenleben nicht gegeneinander abgewogen werden dürfen.

„Die Verfassung ist klüger als unsere Wut“

Die beiden Altliberalen Burkhard Hirsch und Gerhart Baum hatten es einst erstritten und dabei genau den theoretischen Fall im Blick, den Schirach nun erfunden hat. „Die Verfassung ist klüger als unsere Wut“, sagt die Staatsanwältin, „es gibt keine Sicherheit in moralischen Fragen“.

Lars Eidinger mimt ihren starken Gegenspieler, ein selbstgewisser Verteidiger, für den die Welt „kein Seminar für Rechtsstudenten“ ist und der die Frage aufwirft, ob man das Prinzip stets über den Einzelfall stellen sollte.

Burghart Klaußner als Richter, Rainer Bock als Oberstleutnant im Zeugenstand, Jördis Triebel als Hinterbliebene und schließlich Florian David Fitz als sachlich kühler Pilot, der überzeugt ist, richtig abgewogen zu haben – sie alle stellen sich mit guter Arbeit in den Dienst der Sache, die Gesprächsstoff in jedem Wohnzimmer bieten könnte. Denn einer Haltung zur Schuldfrage kann man sich in diesen fabelhaften 90 Minuten nicht entziehen.

Rechtsdiskurs als Debatten-Thriller. TV-Sternstunde.

ARD, Montag, 17. Oktober um 20.15 Uhr

Bei der ARD können Sie online oder per Telefon unter den Nummern 01371022001 (schuldig) und 01371022002 (unschuldig) abstimmen.