Berlin. Der „Polizeiruf 110“ aus Rostock war auf vielen Ebenen fesselnd – und das nicht zum ersten Mal. Über die Zutaten eines Erfolgsrezepts.
Aufgekratzte Ermittler, die an vielen Fronten zu kämpfen haben, die skrupellose Drogenmafia, die ihre Fühler bis in die Reihen der Behörden ausstreckt, tragische Familienschicksale – und das alles präsentiert von Schauspielern in Hochform: Der „Polizeiruf 110“ aus Rostock war beim Fall „Im Schatten“ auf vielen Ebenen fesselnd – und das nicht zum ersten Mal. Was waren die Zutaten des Erfolgsrezepts?
Charaktere
Gleich am Anfang gönnen sich König und Bukow nach Abschluss ihrer verdeckten Ermittlung eine Pulle Schnaps. Das ist nicht nur bemerkenswert, weil es nicht peinlich wirkt, wenn Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau im Zwei-Promille-Modus spielen, sondern vor allem, weil Bukow dabei in den Nahkampf geht. Zur Erinnerung: Am Anfang der Reihe war die eher kühle LKA-Profilerin nur in Rostock, um den schnodderigen und impulsiven Kommissar zu überwachen. Gemeinsames Bechern? Gar ein Annäherungsversuch? Undenkbar.
Auch zwischen Bukow und Thiesler ist was passiert: Sie reden halbwegs normal miteinander. Und wir reden von dem Thiesler, der ja einst Bukows Frau zu Bukows Ex-Frau gemacht hat. Auch der eigentlich immer infantil-prollige Pöschel wird ein bisschen erwachsen.
Den Machern gelingt (mal wieder), spannende neue Facetten an und zwischen ihren Ermittlern offenzulegen. Und das alles war einmal mehr kaum vorhersehbar, wirkt aber nicht gekünstelt, sondern harmonisch in die Handlung eingepasst.
Mafia-Mord hält Bukow und König in Atem
Schauspieler
Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau sind mal wieder ganz groß – oder besser: authentisch. Man kauft Sarnau ihren Frust ab, wenn sie den aalglatten Mafioso Enzo Basile (Ciro de Chiara) nicht aus der Reserve locken kann und in ihrem Auto einen Schreikrampf kriegt. Und Hübner ist einfach saucool, wenn er Thiesler abblitzen lässt („Nicht lustig, Volker“) oder zusammen mit Sarnau einen Verdächtigen im Verhör über dessen Kopf weg provoziert.
Den Auftritt des Abends hatte allerdings Schauspieler Gerdy Zint. Als Mirko Lewandowski, der Katja König früher in der Reihe schon mal ins Koma geschossen hatte, versucht er, die Leiter im Rostocker Kokain-Geschäft hochzuklettern. Wie es Thiesler im Film treffend beschreibt: „Mega-Spacken, kurze Haare, 1,80 groß, dünner Schnauzbart über der Riesenfresse – Mirko.“ Einfach ein richtig fieser Fiesling.
Duett des Abends
Charly Hübner räumt im Zusammenspiel mit Klaus Manchen zweimal ab. Bukow besucht seinen Vater Veit in dessen Club. „Vattern“ zapft locker zwei Pils, während er von seiner bevorstehenden Prostata-OP erzählt. Der Zwielichtige und der Bulle, irgendwo zwischen oberflächlich und innig. Dann der Dialog des Abends:
„Du weißt doch bestimmt, wer in deinem Laden Koks vertickert?“
„Frag lieber, wer nicht.“
Später dann auch die Szene des Abends. Veit Bukow erinnert seinen Sohn an eine alte Box-Weisheit – diesmal nur noch innig. „Es kommt nicht darauf an, wie hart die Faust ist, sondern egal, wie hart du einen in die Fresse kriegst, du musst wieder aufstehen.“ Später dann mit einem Griff auf die Schulter: „Mach’s gut, mein Junge.“
Das Konzept
Die Mafia, die eben „Im Schatten“ ihr Spiel spielt – das alles passt zu Rostock genauso wie die düstere Atmosphäre und die schroffen Charaktere. Drehbuchautor Florian Oeller stützte sich für die Idee unter anderem auf Mafia-Enthüllungsautor Roberto Saviano, der Rostock eins als einen der wichtigsten Drogenumschlagplätze für die kalabresische Mafia ‘Ndrangheta beschrieb und dazu sagte: „Die Mafia ist in Deutschland absurd sicher.“ Umso stimmiger wirkt das Gesamtbild, umso authentischer der Ärger der Beamten, wenn sie sich über die bürokratischen Hürden aufregen.
Florian Oeller hat zur Arbeit an seinem Konzept gesagt: „Falls Bukow und König in der Entwicklung einer Idee nicht mit Figuren, Bildern oder Ereignissen konfrontiert werden, die sie in ihrem Wesen, ihrem Kern berühren, erschüttern oder anbohren, ist es keine.“ Daran gemessen hat er alles richtig gemacht.
Fazit
Man muss nicht „Game of Thrones“ gucken, um ein großartiges Ensemble und Charaktere zu sehen, die für sich und untereinander immer wieder spannende Entwicklungen durchmachen. Ein so stimmiges Konzept, solche schauspielerische Leistungen und Charakterwendungen würde man sich auch für andere TV-Krimis wünschen.
Da passt auch das Ende: Geht Katja König nach Berlin? Wie geht’s Veit Bukow? Kein entspanntes Currywurstessen mit Domblick, sondern offene Fragen und ein unentdeckter Mafia-Maulwurf, der sich in Position bringt. Die Spannung wirkt noch nach dem Abspann. Und das Beste daran: Bukow und König gehen die Bösewichte nicht aus.