Berlin. Wird Islamfeindlichkeit in Europa salonfähig? Diese Frage stellte Anne Will am Sonntagabend unter anderem dem ungarischen Botschafter.

In Ungarn hat sich am Sonntag eine breite Mehrheit gegen eine „verpflichtende Ansiedlung von nichtungarischen Bürgern“ auf Basis von EU-Beschlüssen ausgesprochen. Das Referendum gegen eine automatische Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU ist allerdings ungültig, weil die Beteiligung unter dem Quorum von 50 Prozent lag. Dem Referendum war eine klar fremdenfeindliche Kampagne der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán vorausgegangen, die sich vor allem gegen den Islam und Muslime richtete. Damit hatte die ungarische Regierung den Streit mit der Europäischen Union verschärft. „Ungarn müsste nach dem Verteilungsschlüssel nur etwa 1.300 Flüchtlinge aufnehmen. Darüber ein Referendum abzuhalten, ist ein gefährliches Spiel“, hatte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) dieser Zeitung gesagt.

Anne Will fragte vor diesem Hintergrund am Sonntagabend nach den Folgen einer solchen Politik Wir dadurch die Islamfeindlichkeit in Europa salonfähig? Diskutiert wurde das Thema von Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, der Islamexpertin Lamya Kaddor, Cem Özdemir (Grüne), dem ungarischen Botschafter in Deutschland, Péter Györkös, und der Journalistin Cathrin Kahlweit.

Orbán der Islamkenner

Als Sprecher von Viktor Orbán trat standesgemäß Péter Györkös auf. Immer wieder versuchte der ungarische Botschafter in Deutschland, die Harmlosigkeit seines Landes herauszustellen. „Die Ungarn sind nicht fremdenfeindlich“, sagte Györkös. Und auch Orbán verfolge keine populistische Agenda gegen Muslime, schließlich kenne er den Islam von Reisen und Gesprächen bestens. Bei dem Referendum sei es nur darum gegangen, eine Fremdbestimmung durch die EU zu verhindern. „Die ganze Idee ist total gescheitert“, sagte Györkös mit Blick auf die beschlossene Umverteilung von Flüchtlingen anhand von einer festen Quote je EU-Mitgliedsland.

Widerspruch erhielt er vor allem von Cathrin Kahlweit. „Es war eine Kampagne, die sich explizit gegen Fremde richtete“, sagte die Redakteurin der Süddeutschen Zeitung. Die verwendete Sprache habe sich nicht gegen die Verteilungsquote, sondern gegen Muslime gerichtet. Allerdings sei Ungarn nicht grundsätzlich fremdenfeindlich: „Russen, Chinesen und Araber können sich für 300.000 Euro eine Staatsbürgerschaft kaufen“, berichtete Kahlweit. Ansonsten setze der Populist Orbán aber auf eine scharfe Rhetorik und auf eine Abschottung des Landes.

Österreichisches Verständnis für Ungarn

Kritik an dem Vorgehen kam auch von Cem Özdemir. „Seriöse Politik sieht anders aus“, sagte der Grünen-Chef. Er habe zwar vollstes Verständnis dafür, dass wirtschaftlich motivierte Migration gesteuert werden müsse. Allerdings dürfe die Religion dabei kein Kriterium sein. „Was Europa groß macht, ist, dass die Menschen nicht nach ihrer Herkunft, sondern nach ihrem Ziel beurteilt werden“, sagte Özdemir. Zugleich warb er dafür, die Flüchtlingskrise endlich global zu begreifen. „Wenn man nicht will, dass Flüchtlinge kommen, braucht man eine andere Landwirtschafts- und Wirtschaftspolitik, keine Rüstungsexporte und mehr Klimaschutz.“

Sebastian Kurz nutzte die Gelegenheit, um wieder einmal gegen die Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin zu schießen. „Viele Staaten haben das Gefühl, sie müssen von den moralisch Überlegenen erzogen werden“, sagte der österreichische Außenminister. Die „Flüchtlingspolitik des vergangenen Jahres“ habe zu einer Spaltung Europas geführt. Auch habe die Entwicklung in den Menschen „viel Schlechtes“ wie Rechtsextremismus und Islamfeindlichkeit hervorgebracht. „Wenn wir nicht langsam in Europa verständnisvoller umgehen, wird dieses europäische Projekt scheitern“, bekundete Kurz seine Sympathie für Ungarn. Zugleich lehnte er es aber ebenfalls ab, Migration anhand von Religionszugehörigkeit zu steuern.

Ablehnung zerstört Integration

Lamya Kaddor befand mit Blick auf Orbáns Politik, dass dadurch selbstverständlich die Islamfeindlichkeit salonfähig gemacht werde. Diese habe es schon vor dem 9. September 2001 latent gegeben. Seitdem sei sie ein weitverbreitetes Phänomen. „Orbáns Sprache unterstützt die Stimmung“, sagte die muslimische Religionspädagogin, die zuletzt massiven Anfeindungen ausgesetzt war, weil sie in einem Buch zum Thema Integration eine Bringschuld bei der Aufnahmegesellschaft identifiziert hatte.

Viktor Orbán argumentiert gerne, dass muslimische Einwanderer sich nicht integrieren lassen. Kaddors Kernargument zeigt auf wunderbare Weise, wie sehr diese ablehnende Haltung zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden kann: Wenn Menschen ihrer Religion wegen grundsätzlich abgelehnt werden, wird Integration niemals gelingen.

Zur Ausgabe von „Anne Will“ in der ARD-Mediathek