Berlin. Wer hat Schuld an den Übergriffen von Bautzen? Zumindest ein Gast hatte bei „Anne Will“ schnell eine Antwort auf diese Frage parat.

Über Wochen war die Situation in Bautzen angespannt, am vergangenen Mittwoch eskalierte die Lage: 80 überwiegend Rechte und rund 20 minderjährige Asylbewerber gingen in der sächsischen Kleinstadt aufeinander los. Mehrere Menschen wurden verletzt, in der Innenstadt kam es zu Jagdszenen. Politik und Polizei wirkten überfordert. Nun sollen eine Ausgangssperre und ein Alkoholverbot für minderjährige Flüchtlinge sowie eine sogenannte Kontrollzone in der Innenstadt verhindern, dass sich die Ausschreitungen vom zentralen Kornmarkt wiederholen.

Die Entwicklung wirft einige Fragen auf. Schon wieder Sachsen, schon wieder Bautzen: Was ist in dem Bundesland, was ist der in der Stadt los? Wer hat mit dem Streit angefangen? Und können die Maßnahmen die Situation verbessern? Diese Fragen beschäftigten am Sonntagabend auch Anne Will, die den Bautzener Bürgermeister Alexander Ahrens (parteilos), Familienministerin Manuela Schwesig (SPD), Michael Kretschmer von der sächsischen CDU sowie den Journalisten Jakob Augstein und den Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke zur Diskussion eingeladen hatte.

Wer hat Schuld?

Den eindeutigsten Standpunkt vertrat in der Diskussion CDU-Mann Michael Kretschmer. Seine ebenso simple wie durchschaubare Devise: Schuld haben die Flüchtlinge und die Stadt, die sächsische Landesregierung aber trägt keine Verantwortung. Bei den unbegleiteten Minderjährigen handle es sich um starke Menschen, die viel durchgemacht hätten, versuchte Kretschmer seine Behauptung zu belegen.

„Das ist etwas anderes als der deutsche Jugendliche, der behütet aufgewachsen ist.“ Daher müsse man ihnen auch klare Grenzen zeigen, befand der sächsische CDU-Generalsekretär mit Blick auf Polizeiangaben, wonach die ersten Flaschen von den unbegleiteten Minderjährigen geworfen worden waren. Zudem hätten die Verantwortlichen vor Ort nicht früh genug auf das sich anbahnende Problem reagiert. Dass in Sachsen ein grundsätzliches Problem mit Rechtsextremisten besteht, wollte Kretschmer nicht eingestehen.

Bürgermeister räumt Versäumnisse ein

Mit dieser Haltung zog Kretschmer die Kritik der Runde auf sich. Jakob Augstein warf der Politik in Sachsen vor, bei der Integration „ihrer rechten Bevölkerung“ versagt zu haben. Darüber hinaus sei die Rolle der Polizei in dem Bundesland fragwürdig. „In Sachsen hat man eine gewisse Geschichte was die Polizei angeht. Sie ist manchmal eher Teil des Problems“, sagte der Journalist und Verleger.

Bürgermeister Alexander Ahrens räumte ein, dass er den Konflikt zwischen Einheimischen und Flüchtlingen zu spät bemerkt hatte. Mit den Flüchtlingen habe es auf dem Zentralplatz lange Zeit nur „niederschwellige“ Delikte gegeben, sagte der parteilose Bürgermeister von Bautzen. Eskaliert sei die Situation erst, als sich – für die Polizei überraschend – plötzlich Rechtsextreme verabredet hätten.

Beide Seiten an Krawallen beteiligt

Augsteins Kritik wollte Ahrens allerdings nicht gelten lassen. Die Polizisten in der Region seien nicht rechts, auch seien die nun ergriffenen Maßnahmen in Ordnung – so lange sie nur kurzfristig greifen würden, bis die Probleme gelöst sind. „Wer angefangen hat, interessiert mich nicht brennend“, sagte Ahrens. „Es ist nicht besonders schwierig, die Jugendlichen zu provozieren.“ Deswegen gebe es auch ein Jugendstrafrecht. Entscheidend sei, dass beide Seiten Krawalle gemacht hätten.

Attackiert wurde Krämer auch von Familienministerin Manuela Schwesig. Natürlich habe die sächsische Landesregierung viel zu spät begonnen, etwas gegen Rechtsextremismus zu tun. Dabei sei er gerade in diesem Bundesland ein besonderes Problem. „Die Rechtsextremen benutzen die Flüchtlinge, um Unruhe zu schüren“, sagte die SPD-Politikerin. Daher müsse es nun mehr Geld für Prävention und die Stärkung des Zivilgesellschaft geben.

Kritik an mangelnder Arbeit gegen Rechtsextremismus

Dass das Problem mit Rechtsextremen in Sachsen besonders ausgeprägt ist, bestätigte auch Hans-Gerd Jaschke. „Was mich an Sachsen sehr stört, ist, dass die Eigenständigkeit von Rechtsextremismus nicht akzeptiert wird“, sagte der Extremismusforscher. Stattdessen werde lieber immer allgemein von „dem Extremismus“ geredet. Die von Augstein begonnene Debatte um die Polizei springe zu kurz, da von den Behörden nur politische Vorgaben umgesetzt würden.

An Krämer gewandt warnte Jaschke davor, die Schuld für die Ausschreitungen und Bautzen nur bei den Flüchtlingen zu suchen. „Es ist eine Interaktion zwischen zwei Gruppen.“ Die Eskalation sei letztlich auch das Produkt einer durch Organisationen wie Pegida aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung.

Zur Ausgabe von „Anne Will“ in der ARD-Mediathek geht es hier.