Berlin. Wie gefährlich ist Zucker? Wie viel Süßes jubelt uns die Industrie unter? Die ARD hat sich mit dem „Feind in unserem Essen“ befasst.

Zucker steckt in Süßigkeiten und Schokolade, in Joghurt, Brot und Fertiggerichten. Und: Wir essen immer mehr davon. 31 Kilo sind es im Durchschnitt pro Jahr und pro Person. Im Jahr 1900 waren es noch 12 Kilo. Experten sind sich einig: Zu viel Zucker kann uns krank machen. Und trotzdem versüßt die Lebensmittelindustrie ihre Produkte immer mehr. Grund für die ARD, sich an einem Themenabend mit dem Zucker zu beschäftigen.

Fernsehkoch Tim Mälzer machte den Anfang. „Wie viel Zucker ist gut für uns?“, fragte er in seinem Lebensmittel-Check. Und dafür wagte er ein Experiment: Einen Tag lang ernährte sich der Koch von Fertigessen. Müsli und Instant-Cappuccino gab’s zum Frühstück, am Mittag lag eine Pizza auf dem Teller, daneben stand ein Glas Smoothie.

Verbrauchertipps für den Einkauf

Und abends genehmigte sich Mälzer eine Stulle mit Heringssalat, dazu ein Glas Fruchtsaft. Ergebnis: 160 Gramm Zucker steckten in den Nahrungsmitteln. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt eine tägliche Dosis von 25 Gramm am Tag.

Tim Mälzer beim Einkauf für seine Sendung „Wie viel Zucker ist gut für uns?“.
Tim Mälzer beim Einkauf für seine Sendung „Wie viel Zucker ist gut für uns?“. © NDR | NDR

Wirklich neu sind die Erkenntnisse wahrlich nicht. Seit Jahren mahnen Experten, bei Fertiggerichten auf den Zucker- und Fettanteil zu achten. Mälzer müsste das eigentlich wissen. Als Koch. Gut, dass es nach der gespielten Überraschung schnell weiter ging. Und zwar mit Verbrauchertipps für den Einkauf.

Worauf ist zu achten, wenn man die Zuckerfallen meiden will? Kunden sollten die Liste der Inhaltsstoffe sowie die Nährwerttabelle lesen. Und zwar mit Verstand: Denn Zucker versteckt sich oft hinter anderen Begriffen wie Dextrine oder Fruktose. Generell sollte man bei der Endung –ose vorsichtig sein. Auch der Anteil der Kohlehydrate ist wichtig, denn der Körper wandelt diese ebenfalls in Zucker um.

Zucker ändert Strukturen im Hirn

Aber warum lieben wir Zucker so? Diabetes-Forscher Matthias Tschöp kennt die Antwort: Ein süßer Geschmack war für den Steinzeitmenschen ein sicheres Indiz, etwas Brauchbares zum Essen gefunden zu haben. Doch die Steinzeit ist lange vorbei, Nahrung können wir uns an jeder Ecke besorgen, wir müssen sie nicht erst mühsam suchen.

Zucker verändert die Strukturen im Gehirn. Nach dem Verzehr sind ähnliche Areale aktiv wie bei Drogensüchtigen.

Fruktose fördert Fettleber

Besonders gefährlich ist ein erhöhter Zuckerkonsum bei Kindern. Die werden oft schon in der Schwangerschaft und Stillzeit auf einen bestimmten Geschmack konditioniert. Das Verlangen nach Süßem setzt sich dann im weiteren Leben fort.

Gut, dürften sich einige Zuschauer an dieser Stelle gedacht haben. Ersetze ich den Zucker eben durch andere Produkte, der Markt ist ja voll von Ersatzstoffen. Doch auch die sind nur mit Vorsicht zu genießen. Fruktose etwa – von Vielen als gesund angesehen, weil es auch in Obst enthalten ist – fördere eine Fettleber, wie ein weiterer Experte im Lebensmittelcheck erklärte.

Viel Kritik für Traubenzucker und Kinder-Sekt

Grund: Der Körper kann Fruktose nicht direkt umwandeln und nimmt einen Umweg über die Leber. Auch Honig oder Agavensirup seien keine wirklichen Alternativen, weil sie ebenfalls viel Zucker oder Fruktose enthalten.

Auch in Honig oder Agavensirup steckt viel Zucker oder Fruktose, weiß Tim Mälzer.
Auch in Honig oder Agavensirup steckt viel Zucker oder Fruktose, weiß Tim Mälzer. © NDR | NDR

Doch was können Verbraucher tun, um nicht in die Zuckerfallen der Lebensmittelindustrie zu tappen? Eine Frage, die Mälzer nicht allein beantworten konnte – und daher eine Fortsetzung in der anschließenden Sendung „Hart aber fair“ fand.

Traubenzucker als Schüler-Doping

„Was hilft gegen die Verzuckerung der Gesellschaft“, fragte Moderator Frank Plasberg. In der Runde auf der Zuckerseite: Alfred Hagen Meyer, Anwalt für Lebensmittelrecht, und Günter Tissen, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker. Die Kontrahenten: Fernsehkoch Tim Mälzer und Ernährungsexpertin Silke Schwartau. Irgendwo dazwischen: Christian Schmidt, CSU, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft.

Mehr als deutlich machte Moderator Frank Plasberg direkt zu Beginn der Sendung, auf welcher Seite er steht: Er hielt ein Päckchen „Schulstoff“, Traubenzucker der Marke Dextro Energy, in die Kamera – als wolle er es sofort mit Schutzhandschuhen in den Giftschrank verfrachten. In einer Pressemitteilung warb das Unternehmen damit, dass Kinder den Reiz des Verbotenen und das Gefühl des Dopings an dem Produkt so liebten. „Das ist keine Satire“, stellte Plasberg bestürzt fest. Tim Mälzer attestierte den Machern der Werbekampagne, „bumsdämlich“ zu sein.

CSU-Minister hält nichts von Verboten

Ähnlich hemmungslos ging das Duo auf eine Flasche Kindersekt los. Seine Kinder würden wohl entweder alkoholabhängig oder diabeteskrank, wenn er ihnen das süße Gesöff erlaubte, meinte Plasberg. Sehr zum Ärger der Zucker-Verteidiger Meyer und Tissen.

Dabei wollten sie den Zucker doch generell gar nicht verteufeln, versicherten Mälzer und Plasberg. „Mir geht es um die Kinder, die noch nicht selbst für sich entscheiden können“, meinte Fernsehkoch Mälzer, der vor einigen Wochen zum ersten Mal Vater geworden ist. Man müsse die Gesellschaft doch davor schützen, von der Industrie in die Irre geführt zu werden. Er plädierte in der Show unter anderem für eine klarere Kennzeichnung von Lebensmitteln und ein Verbot für Werbung, die eindeutig an Kinder gerichtet ist.

Sind Verbraucher selber Schuld?

Auf die Politik kann er dabei offenbar nicht hoffen. Minister Christian Schmidt setzt auch weiterhin auf Freiwilligkeit. Verbote würden nicht zum Ziel führen, ist sich der CSU-Mann sicher. Er setze viel mehr auf Information, auf ein neues Unterrichtsfach „Ernährungsbildung“ an Schulen und Kindergärten.

Das gefiel dann auch dem Vertreter der Zuckerwirtschaft, Günter Tissen. Das Problem in der Gesellschaft sei weniger der Zucker als vielmehr der ungesunde Lebenswandel insgesamt. Die Entscheidung habe letztlich immer der Verbraucher, zu zuckerhaltigen Produkten zu greifen. An den rund sechs Millionen an Typ-2-Diabetes erkrankten Menschen in Deutschland sei womöglich der Zucker gar nicht Schuld – zumindest nicht primär. Einen direkten Zusammenhang könne die Wissenschaft nicht beweisen, hieß es auch in einem Einspieler der Hart-aber-fair-Redaktion.

Kinder konsumieren zu viel Zucker

Auch der Verweis auf die Steuer für sogenannte Alkopops aus dem Jahr 2004 konnte die Meinung des Ernährungsministers nicht ändern. Damals hätte es doch auch geklappt, der Umsatz der süßen Alkohol-Mischgetränke sei nach der Einführung der Steuer eingebrochen, erinnerte Plasberg. Doch Christian Schmidt sprach nur von einem „platten Placebo-Effekt“. Er sieht vielmehr die Eltern in der Pflicht, sich um eine gesunde Ernährung für ihre Kinder zu kümmern.

Moderatorin Anastasia Zampounidis verzichtet auf industriellen Zucker.
Moderatorin Anastasia Zampounidis verzichtet auf industriellen Zucker. © imago/eventfoto54 | imago stock&people

„Der Verbraucher schreit doch nach Hilfe. Er hat es nicht mehr im Griff“, argumentierte Tim Mälzer hitzig. Doch gebracht hat es nichts. Es hat die Diskussion nicht vorangebracht – und es wird wohl auch kurzfristig nichts am Konsum- und Essverhalten der Supermarkt-Kunden ändern. Kinder werden in Deutschland wohl weiter im Schnitt rund 114 Gramm Zucker am Tag zu sich nehmen – statt der empfohlenen 25 Gramm.

Da konnte auch Moderatorin Anastasia Zampounidis noch so frisch in die Kamera strahlen. Die 47-Jährige verzichtet seit zehn Jahren auf industriellen Zucker. Das sei nicht immer ganz einfach, aber sie fühle sich besser – und sehe nebenbei auch noch verdammt gut aus: reine Haut, gertenschlanke Figur. Das könne kein Zufall sein.