Ihre Stimmen hat vermutlich jeder schon gehört, ihre Gesichter sind unbekannt. „20 Feet from Stardom“ widmet sich Backgroundsängern.

Sie waren vielleicht nicht schön genug oder laut genug oder egoistisch genug oder hatten einfach nur kein Glück: Backgroundsänger. Begnadete Stimmen, die gute Songs aus dem Hintergrund zu großen Hits machen und doch immer im Schatten stehen. Die oscar-prämierte Dokumentation „20 Feet from Stardom“ (zu Deutsch etwa „Sechs Meter bis zum Ruhm“) gibt diesen Schattenwesen der Musik ein Gesicht.

Darlene Love gehörte Anfang der 60er-Jahre zu den ersten Vertretern einer neuen Generation von Backgroundsängern. Sie war jung, kraftvoll, konnte improvisieren. Im afroamerikanischen Gottesdienst hatte sie das Prinzip des begleitenden Singens von Kindheit an gelernt. Vorne steht der Priester und gibt den Ton an, während der Gospelchor antwortet. Erst die Gemeinschaft, erst das Miteinander entwickelt die Kraft, die es braucht, um die Gläubigen oder den Zuhörer zu packen.

Es ist auch ein Film über das Scheitern

Das ist der Ausgangspunkt von Regisseur Morgan Neville, der die Zuschauer mit auf eine Zeitreise nimmt. Ausgehend von den 60ern, bis heute. Die Geschichte aber erzählen die Protagonisten selbst. Es gibt keinen Erzähler und nur selten greift Neville zum Hilfsmittel der erklärenden Texteinblendungen. Er bleibt ganz bei den Sängern, begleitet sie ins Studio oder bei Auftritten. Zum Beispiel Lisa Fischer. Schon als Kind wollte sie ein Star werden. Hoffte, über den Umweg als Backgroundsängerin den Durchbruch zu schaffen. Und tatsächlich sah es kurz so aus, als würde es klappen. 1992 gewann sie den wichtigsten amerikanischen Musikpreis, den Grammy. Doch dann wurde es wieder still um sie.

Es ist die Frage, die über dem gesamten Film schwebt: Warum werden einige Sänger zu Stars und andere nicht? Die vielen Musiksequenzen und Konzertmitschnitte machen klar – an der Stimme kann es nicht liegen. Lisa Fischer litt unter dem Druck, plötzlich die zu sein, die vorne steht. „Ich will nur singen“, sagt sie heute. Andere, wie Darlene Love, wurden von ihren Managern betrogen und verraten. „Am Ende brauchst du einfach Glück“, erklärt Sänger Sting. Er ist einer von denen, die es geschafft haben – und die in Einspielern mit etwas schlechtem Gewissen ihre Backgroundsänger loben.

Es ist eine Gratwanderung, die Regisseur Neville mit seinem Film versucht. Kann man den durchweg sympathischen Musikern vorwerfen, nie den Durchbruch geschafft zu haben? Ist Ruhm die einzig wahre Währung der Musikindus­trie? Sicher nicht. Aber alle porträtierten Musiker haben den Soloerfolg gesucht. Und fast nie gefunden. Sie mögen sich damit arrangiert haben, ein glückliches Leben führen und doch ist „20 Feet from Stardom“ auch ein Film über das Scheitern. Am Ende aber bleibt eine Frage offen: Warum sind alle porträtierten Sängerinnen schwarz, während die Leadsänger – Elvis, Mick Jagger, Sting – weiß und männlich sind? Daran wagt sich Morgan Neville nicht.

Fazit: Tolle Musik, sympathische Sänger, sehenswerte Konzertausschnitte. Für Musikfans Pflichtprogramm.

Arte, Mittwoch, 20.15 Uhr