Berlin. Die Vorliebe für Süßes ist angeboren. Wie sehr sich die Industrie das zunutze macht, zeigten am Montag die „WISO-Konsumagenten“.

Er lauert in Schokoriegeln, Kuchen und Eis, aber auch da, wo wir ihn nicht unbedingt vermuten: in Ketchup etwa oder vermeintlich gesunden Joghurtdrinks. Zucker steckt in vielen Lebensmitteln – besonders in jenen, die industriell hergestellt wurden. Ernährungsexperten sprechen deshalb gar von einer Zuckerverseuchung, die für Verbraucher oft nur schwer zu erkennen ist. Wie man ihr trotzdem entkommen kann, zeigten am Montag im ZDF die „WISO-Konsumagenten“.

Zum Frühstück ein Müsli mit Sojamilch und Banane, dazu ein Cappuccino – und schon hat Wolfgang Trepper seine Ration für den ganzen Tag überschritten. Der „WISO-Konsumagent“ ist in die Zucker-Falle getappt. 31 Gramm sind ihm laut Weltgesundheitsorganisation pro Tag an zugesetztem Zucker erlaubt, fünf Prozent des täglichen Kalorienbedarfs. Macht bei 2500 Kilokalorien pro Tag also gerade einmal 125 Kalorien, die als Zucker aufgenommen werden dürfen.

Zucker kann süchtig machen

„Die Zahl ist extrem schwer einzuhalten“, sagt Ernährungswissenschaftler Christof Meinhold dem Moderator – auch, weil die Angaben auf dem Produkt für Laien oft kryptisch sind. Denn nur weil in der Zutatenliste nirgendwo das Wort „Zucker“ steht, heißt das nicht, dass keiner drin ist. Glukosesirup, Dextrose, Saccharose, Maltodextrin – Zucker hat viele Namen. Und je weiter vorne in der Liste diese auftauchen, desto mehr davon steckt drin. Für mehr Durchblick sorgen Apps: etwa „Süßmacher“ der Verbraucherzentralen, die zeigt, hinter welchen Industrienamen sich Zucker verbirgt oder die ebenfalls kostenlose App „Codecheck“, die unter anderem den Zuckergehalt vieler Lebensmittel angibt.

Kein Sattmacher: Zuckerhaltige Lebensmittel treiben den Insulinspiegel in die Höhe. Der fällt aber schnell wieder und der Hunger ist zurück.
Kein Sattmacher: Zuckerhaltige Lebensmittel treiben den Insulinspiegel in die Höhe. Der fällt aber schnell wieder und der Hunger ist zurück. © dpa | Fredrik Von Erichsen

Was an dem süßen Stoff so tückisch ist, erklärt Ernährungsmediziner Thomas Kurscheid: „Zucker sorgt dafür, dass unser Insulinspiegel immer wieder hoch- und runtergeschaukelt wird. Wenn er runtergeht, kriegen wir Hunger.“ Außerdem könne er suchtähnliches Verhalten auslösen. „Wir kriegen eine Stimulation unseres Belohnungssystems, und das will das Gehirn immer wieder haben“, sagt Kurscheid. Die Vorliebe für Süßes sei angeboren. Das weiß auch die Industrie.

Studie: Viele Lebensmittel für Kinder ungesund

Vier Millionen Tonnen Süßwaren wurden in Deutschland im vergangenen Jahr verkauft, was der Branche einen Umsatz von 12,8 Milliarden Euro einbrachte. Der Verbraucherverein Foodwatch kritisiert, dass sich das Marketing dabei gezielt an Kinder wende. „Es ist eine beliebte Strategie, Comicfiguren, Spielzeuge beizugeben oder Gewinnspiele auf die Verpackung zu drucken“, sagt Oliver Huizinga, der bei Foodwatch-Experte für Kinderernährung und Übergewichtsprävention ist. 90 Prozent der Produkte, die sich an Kinder richten, seien laut einer Foodwatch-Studie ungesund, enthielten also zu viel Zucker, Fett oder Salz.

Als Beispiel zeigen die „WISO-Konsumagenten“ gezuckerte Frühstücksflocken von Kellogg. Der Hersteller wehrt sich allerdings gegen den Vorwurf, er würde beim Marketing vor allem auf Kinder abzielen. „Wir erlauben uns auch den Hinweis, dass die Kellogg’s Produkte des Portfolios für jüngere Zielgruppen zu einem nicht unwesentlichen Teil auch von Erwachsenen konsumiert werden“, schreibt das Unternehmen dem ZDF. „Zudem richtet sich Kellogg mit seinen Vermarktungsinitiativen seit jeher hauptsächlich an sogenannte Haushaltsführer und Entscheider und weniger an Kinder.“

Politik verweist auf die Hersteller

Der Lebensmittelkonzern Danone hat eine klare Philosophie: Zuckerreduktion ja, aber nicht auf Kosten der Nachfrage.
Der Lebensmittelkonzern Danone hat eine klare Philosophie: Zuckerreduktion ja, aber nicht auf Kosten der Nachfrage. © REUTERS | © Vincent Kessler / Reuters

Die Politik sieht die Verantwortung bei der Industrie. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft schreibt: „Kindern (soll) nicht suggeriert werden, für eine vollständige und ausgewogene Mahlzeit sei der Verzehr eines bestimmten Lebensmittels unersetzlich.“ Zusätzlich werde gerade eine Strategie entwickelt, wie man die Industrie dazu bringen kann, den Zucker-, Salz- und Fettgehalt ihrer Produkte durch eine Änderung der Zusammensetzung zu reduzieren.

Wo die Grenzen sind, zeigt allerdings eine Stellungnahme von Danone: „Derzeit prüfen wir umfassend weitere Möglichkeiten zur Zuckerreduktion und Nährwertoptimierung – in diesen Prozess werden die Vorgaben der WHO einfließen. Voraussetzung ist jedoch, dass die entsprechenden Produkte dann auch nachgefragt werden.“

Zuckeralternativen überzeugen nicht

Während andere Länder Steuern für zuckerhaltige Lebensmittel einführen (Mexiko) oder dies planen (Großbritannien), ist das in Deutschland derzeit nicht angedacht. Freuen dürfte das den Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft. An WISO schrieb der Verband, dass es wichtig sei, Kindern den Umgang mit Werbung beizubringen. „Nur dies kann der Weg in unserer Gesellschaft sein und nicht etwa, in den Markt einzugreifen und Verbote auszusprechen.“

Sollte sich der Verbraucher also lieber selbst helfen? Zuckeralternativen gibt es ja schließlich genug. Doch auch Stevia, Xylit und Co. haben Schwächen, wie Trepper und seine „Konsumagenten“-Kollegin Anastasia Zampounidis feststellen. So hat Stevia zwar kaum Kalorien, kann im Geschmackstest aber nicht überzeugen. Beim Backen muss zudem zusätzliches Eiweiß den Volumenmangel ausgleichen. Xylit, das aus Maiskolbenresten gewonnen wird, hat zwar weniger Kalorien als Zucker und gilt als zahnfreundlich, kann aber in großen Mengen abführend wirken. Auch Aspartam, das in vielen Light-Produkten enthalten ist, ist kalorienarm, gesundheitlich aber nicht unumstritten.

Also kommt man doch nicht um Haushaltszucker herum? „Man muss nicht päpstlicher sein als der Papst“, sagt Mediziner Kurscheid. Niemand müsse komplett auf Zucker verzichten. „Reduzieren hilft schon.“