Berlin. Wieso konnte Pfleger Niels H. unbemerkt mindestens 33 Menschen in Kliniken töten? Maischberger geht in ihrer Sendung auf Spurensuche.

Der Vorwurf ist so unglaublich, dass er aus einem schlechten Krimi stammen könnte: Der Krankenpfleger Niels H. steht im Verdacht, bis zu 200 Menschen mit Medikamenten getötet zu haben. Handfeste Hinweise gibt es in 33 Fällen. Das mutmaßliche Motiv: Niels H. wollte die Menschen an den Rand des Todes bringen, um sich dann mit einer Reanimation bei Kollegen zu profilieren.

Der Fall Niels H. findet deutschlandweit große Aufmerksamkeit. Seine früheren Arbeitgeber stehen in der Kritik, zu spät reagiert zu haben. Muss Klinikpersonal besser überwacht werden? Und wieso blieb Niels H. so lange unentdeckt? Diese Fragen stellte am Mittwochabend Sandra Maischberger ihren Gästen. Mit dabei waren auch Kathrin Lohmann, Tochter eines Opfers, und der Krankenpfleger und frühere Kollege des Täters, Felix Lauxtermann.

Die Tochter schob die Ermittlungen an

Kathrin Lohmann berichtete aus ihrer Perspektive als Hinterbliebene, wie sie in den vergangenen Jahre gelitten hat. Lohmann war schnell misstrauisch geworden, nachdem ihre lungenkranke Mutter auf dem Weg der Besserung plötzlich im Krankenhaus verstorben war. „Es hat einfach nicht zu dem Verlauf der Krankheit gepasst“, erklärte Lohmann ihre Skepsis. Bestärkt wurden ihre Vermutungen durch Medienberichte über Niels H.. Nach langem Kampf mit einer untätigen Staatsanwaltschaft erwirkte sie schließlich eine Exhumierung der Überreste ihrer Mutter. Dabei wurde das von Niels H. verwendete Herzmittel nachgewiesen, um einen Herzstillstand herbeizuführen. Das Ergebnis führte zu umfassenden Ermittlungen und damit zur Aufdeckung des gesamten Falls. „Das war eine große Erleichterung“, sagte Lohmann. Endlich habe sie Gewissheit und könne nun ihr Leben weiterleben.

Auch wenn früh ein Verdacht aufkeimte, konnte Niels H. lange Zeit weiterarbeiten. Gisela Friedrichsen verfolgte als Gerichtsreporterin des „Spiegel“den Prozess gegen den Krankenpfleger. Selbst als H. in einem Fall erwischt worden war und ein Berufsverbot erhalten hatte, konnte er sich wegen eines bis zu diesem Zeitpunkt noch fehlendem rechtskräftigen Urteil in einem Altenheim und bei einem Rettungsdienst anstellen lassen. Im weiteren Verlauf sei die Staatsanwaltschaft dann zu passiv gewesen und habe nur zögerlich Exhumierungen durchgeführt, sagte Friedrichsen.

Niels H. fiel schnell auf

Eine weitere wichtige Perspektive brachte Felix Lauxtermann ein. Als Kollege von Niels H. in der Klinik Oldenburg konnte er die Umstände aus erster Hand schildern. H. sei schnell aufgefallen, sagte Lauxtermann. „Er hatte einen deutlichen Aktionismus bei Reanimationen.“ Bei der Pflege aber habe H. Defizite gezeigt und sich für die Menschen nicht interessiert. Irgendwann habe man bemerkt, dass die Zahl der Reanimationen zunahm. „In einer Nacht hatten wir sechs Reanimationen“, beschrieb Lauxtermann einen Rekord. Schließlich hätten Kollegen gesagt, „Mensch, der Niels hat wieder Dienst“.

Wegen der Auffälligkeiten wurde H. schließlich auf eine andere Station versetzt und dann zur Kündigung aufgefordert. Trotz allem erhielt er ein gutes Zeugnis, mit dem er sich an der Klinik in Delmenhorst bewerben konnte. Dort tötete er dann unter anderem die Mutter von Kathrin Lohmann. Wie konnte es dazu kommen? „Es wäre sicher besser gewesen, die Behörden einzuschalten“, sagte dazu Dirk Tenzer, selbst Arzt und heute Chef der Klinik in Oldenburg. Tenzer, der erst später in das Krankenhaus kam, will die Fälle nach eigenem Bekunden bestmöglich aufklären. „Ich will nichts schönreden. Wir wollen aufklären, es sind viele Fehler passiert“, sagte Tenzer. Zugleich machte er deutlich, dass es keine harten Hinweise gegeben habe. In der Oldenburger Klinik sei weder die Sterberate noch der Medikamentenverbrauch drastisch gestiegen.

Mehr Überwachung als Lösung?

Gegen diesen Punkt argumentierte Karl Lauterbach. „Warum wurden nicht mehr Bluttests gemacht?“, fragte der SPD-Gesundheitsexperte. Dadurch hätten Unregelmäßigkeiten schneller aufgedeckt werden können. Lauterbach kritisierte auch das Zeugnis. Die Leitung der Klinik Oldenburg hätte darin zumindest deutlich machen können, dass sie Niels H. im Pflegeberuf für untauglich hält. Dadurch hätte verhindert werden können, dass H. in anderen Krankenhäusern weiter tötet.

Gegen Ende der Diskussion wurde Judith Arlt in die Diskussion einbezogen. Arlts Schwiegervater wurde in der Berliner Charité von einer Krankenschwester auf der Intensivstation getötet. „Ich habe immer gesagt, dass das kein Einzelfall ist“, sagte Arlt. Aus diesem Grund werden jetzt neue Mechanismen diskutiert. So könnten Krankenpfleger regelmäßig auf ihren psychischen Zustand hin überprüft werden. Auch strengere Kontrollen der Sterberaten und des Medikamentenverbrauchs könnten helfen, Fälle wie den von Niels H. früher aufzudecken. Karl Lauterbach plädierte schließlich dafür, häufiger zu obduzieren. „In jedem zweiten Fall stellt sich dabei eine andere Todesursache heraus, als die, die vom Arzt festgestellt wurde.“