Berlin. Wie geht es nach dem Brexit-Votum? Bei „Anne Will“ fand Ursula von der Leyen klare Worte – und rechnete mit den Europa-Gegnern ab.

Gehofft hatte es niemand. Doch die britischen Wähler haben der EU eine – wenn auch knappe - Absage erteilt. Mit dem Vereinigten Königreich tritt erstmals ein Land aus der Gemeinschaft aus. Die Union steht damit vor einer schweren Krise. „Großbritannien sagt Nein – Wer sagt jetzt noch Ja zu Europa?“, fragte Anne Will in der ARD am Sonntagabend.

Die Gäste: Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die britische Tory-Politikerin Anna Firth, der ehemalige Botschafter Großbritanniens Sir Peter Torry, Rolf-Dieter Krause, Leiter des ARD-Studios in Brüssel und der slowakische Europa-Abgeordnete Richard Sulík.

Wenn Briten sich streiten

Sie hat viel riskiert und gewonnen. Mit ihrer „Women-for-Britain“-Kampagne hat die Tory-Politikerin Anna Firth für den Brexit geworben. „Wir wollten ein faireres und demokratischeres Großbritannien haben und das haben wir bekommen“, sagte sie. Ihre Kritik an der EU klang typisch britisch: Brüssel mische sich in zu viele Dinge ein, ihr Land habe immer vor mehr Integration gewarnt – jetzt habe der Wähler eben den Schlussstrich gezogen.

Firth ist so etwas wie das freundliche Gesicht der Brexit-Kampagne. Rassistische Positionen, wie sie die britische Boulevardpresse gegen osteuropäische Arbeitnehmer und Flüchtlinge vorgebracht hat, sind ihr fremd. Sie lächelte viel, erklärte ruhig und sachlich. Großbritannien sei ohne die EU stärker, betonte sie.

„Ich bin traurig für mein Land“

Kritik kam vom ehemaligen britischen Botschafter Sir Peter Torry. Das Land sei zu klein, um allein in der Welt zu bestehen, überzeugende Argumente habe er von den EU-Kritikern nicht gehört. „Ich bin traurig für mein Land, meine Kinder und meine Enkelkinder“, sagte er.

Deutlicher wurde Ministerin Ursula von der Leyen. Die CDU-Politikerin sprach davon, dass die Europa-Gegner auf der Insel „eine 43 Jahre alte gemeinsame Erfolgsgeschichte mit Füßen getreten haben“. Das Land sei tief gespalten, der Trennungsprozess werde Jahre dauern und die jungen Briten, die für den Verbleib in der EU gestimmt haben, seien die Leidtragenden. „Die Alten haben den Jungen ihre europäische Zukunft zerstört“, sagte von der Leyen.

„Was sind Sie, wenn ich fragen darf?“

Lediglich der slowakische EU-Abgeordnete Richard Sulík zeigte in Anne Wills Runde Verständnis für den britischen Abgang. Die heutige EU stehe für Schulden und Regulierungswut. Die Eliten in Brüssel seien am schlechten Image der Union Schuld, sie sollten abtreten, sagte Sulík – und verwies auf Parlamentspräsident Martin Schulz und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

„Was sind Sie, wenn ich fragen darf?“, fragte von der Leyen spöttisch. Sulík gehöre doch als Europaabgeordneter zu denen, die Europa gestalten müssten. Wo sein konstruktiver Beitrag sei, hakte die CDU-Politikerin nach. Der Slowake brüstete sich damit, immerhin Juncker nicht gewählt zu haben. „Toller konstruktiver Beitrag“, gab von der Leyen zurück.

Immer wieder ergriff die Ministerin in Wills Runde das Wort, lobte die EU als Gemeinschaft des Friedens und des Wohlstands. Kritisch äußerte sich von der Leyen trotzdem: Die großen Themen der Zukunft seien die Finanzmärkte, Sicherheit und Digitalisierung. Lösungen dafür zu finden, sei Aufgabe der EU. Alles darunter könnten aber auch die Nationalstaaten regeln.

Brexit: Abstimmung gegen die Eliten?

Eine spannende Erklärung für das Wahlverhalten der Briten lieferte der ehemalige Botschafter Sir Peter Torry. Das Ergebnis sei eine Protestwahl gegen die politischen und wirtschaftlichen Eliten in London. Das Verhalten der Banker in der „City“ nannte er kriminell. „Sie haben das Land an den Rand des Abgrunds gebracht und keiner wurde bestraft“, sagte er. Die Menschen hätten gesehen, dass Globalisierung nur wenigen nütze – und die EU als Schuldigen dafür ausgemacht.

Doch wie geht es nun weiter zwischen Großbritannien und der EU? Tory-Politikern Anna Firth sah keine Zeitnot. Erst müsse ein Rahmen vereinbart werden, in dem der Ausstieg statt finde. Ex-Botschafter Sir Peter Torry hielt es sogar für möglich, dass sich kein Politiker auf der Insel finde, der den Austritt verkünden will. Rechtlich bindend sei das Referendum ohnehin nicht, da das Parlament das letzte Wort habe. Doch auch der Diplomat weiß: Politisch wird kein Weg am Austritt des Königreichs vorbei führen.

Es kommen harte Wochen und Monate der Verhandlungen auf die Europäische Union zu. ARD-Reporter Krause sah sogar positive Dinge im Austritt des Königreichs: Eine Regulierung der Finanzmärkte sei ohne die Briten leichter. Ein schwacher Trost in dieser schweren Stunde für Europa.