Berlin. Für die erste EM-Kommentatorin im TV gab es viel Häme. Damit hatte Claudia Neumann gerechnet. Diesen Freitag sitzt sie wieder am Mikro.
Beim Europameisterschaftsspiel Wales – Slowakei war letztens mächtig was los bei Twitter und Co. Doch ging es weniger um Tore und Spielzüge, als vielmehr um die Präsentation der Partie im ZDF. Genauer gesagt: um die Kommentatorin Claudia Neumann.
Das las sich dann so: „Das ist ganz schlimm.“ Oder: „Gottogottogott, wer ist denn die Frau da? Die Stimme ist super gruselig. Die könnte Horrorfilme sprechen.“ Oder auch so: „Warum kommentiert Neumann nicht lieber Synchronschwimmen der Damen, da kann sie nicht viel falsch machen.“ Manches Verbal-Foul zielte sogar unter die Gürtellinie:
„Frauen nur als schmückendes Beiwerk erwünscht“
Kein plattes Klischee, kein dumpfer Chauvi-Spruch wurde ausgelassen. Dass es gleichzeitig auch viele positive Reaktionen gab, ging in der geballten Häme unter.
Was hatte Claudia Neumann getan, um so in den Fokus des Männer-Mobs im Internet zu geraten? Eigentlich nicht viel: Die 51-jährige Sport-Journalistin hatte nur als erste Frau im deutschen Fernsehen ein EM-Fußballspiel live im TV kommentiert. Doch die Reaktionen zeigen: Frauen und Fußball – das passt für viele Männer immer noch nicht zusammen. Mehr als 40 Jahre nach Carmen Thomas’ mit viel Spott bedachtem „Schalke-05“-Versprecher begeben sich Frauen weiterhin in ein Haifischbecken, wenn sie sich medial mit Fußball befassen. Was geschieht da?
„Im Männersport Fußball gab es lange Jahre eine klare Rollenverteilung. Die Herren hatten die Ahnung, Frauen waren nur als schmückendes Beiwerk erwünscht“, sagt Astrid Carolus, Medienpsychologin von der Universität Würzburg, „beispielsweise als Spielerfrauen.“ Und viele männliche Fußballfans fühlten heute noch immer so: Sie pflegen eine „Haltung der vermeintlichen Überlegenheit“ und fürchten durch eine Frau am Mikrofon „als Fußball-Experte in ihrer Kompetenz beschädigt zu werden“, so Carolus, „es geht schlicht um Verlustängste.“ Ihr Urteil: „Im Grunde hat sich seit Carmen Thomas nichts geändert.“
Anne Will und Monica Lierhaus stürmten in die ARD-Sportschau
Dabei ist Fußball bei den TV-Sendern schon lange keine reine Herrendomäne mehr. 1999 sprengte Anne Will die männliche Moderatoren-Riege der ARD-Sportschau, das Hochamt des samstäglichen Bundesliga-Fußballs. Ihr folgte fünf Jahre später Monica Lierhaus – und beide erhielten überwiegend positive Kritiken, zumindest kam es nicht zu derart geballten verbalen Ausfällen wie jetzt bei Claudia Neumann. Auch als Moderatorinnen am Spielfeldrand sind Sport-Journalistinnen wie Katrin Müller-Hohenstein (ZDF) oder Laura Wontorra (Sport1) inzwischen fest etabliert. „Aber neben dem Platz ist eben für viele Männer etwas anderes als am Mikrofon“, so Psychologin Carolus.
Das sieht auch ZDF-Kommentatorin Neumann ähnlich: Frauen seien bei Teilen der Gesellschaft wenn es um Fußball geht „nur geduldet, am besten hübsch anzusehen aber keinesfalls in der klassischen Männerrolle am Mikrofon“, sagte sie unserer Redaktion. „Das gilt selbstverständlich nicht für alle: Ich kenne auch Menschen, die es kaum fassen können, dass im Jahr 2016 solche Debatten überhaupt noch geführt werden.“
Fernseh-Frauen mit Fußballverstand
Als Otto Rehhagel der Reporterin ein Interview verweigerte
Das musste auch Sabine Töpperwien erfahren. Sie war für den WDR die erste Frau, die regelmäßig in der ARD-Bundesligakonferenz im Radio berichtete – was ihr auch ganz spezielle Erlebnisse mit dem Altherrendenken im Fußball verschaffte. „Otto Rehhagel hat mir einmal ein Einzelinterview verweigert mit der Begründung, ich hätte ja noch nicht einmal den Schweiß in der Kabine gerochen“, erzählte Töpperwien mal in einem „Focus“-Interview. Erst die Intervention von Rehhagels Gattin Beate habe schließlich das Eis gebrochen.
Doch trotz Will und Lierhaus, Müller-Hohenstein und Wontorra – Frauen in der Männerwelt Fußball sind immer noch nicht der Normalfall. Dass mit Claudia Neumann die erste Frau ein EM-Spiel kommentieren würde, war sogar „Emma“, dem Zentralorgan des deutschen Feminismus, eine kleine Geschichte wert. Für einige Fußballfans sei es offenbar „schwer vorstellbar, dass es sich bei einer Frau, die Ahnung von Fußball hat, tatsächlich um eine ,richtige‘ Frau handeln könnte“, mutmaßte die Zeitschrift.
Claudia Neumann sucht einen neuen Blickwinkel aufs Spiel
EM-Reporterin Claudia Neumann wird an diesem Freitag wieder kommentieren – um 15 Uhr die Begegnung der Italiener gegen die Schweden. Bammel davor hat sie auch nach den verbalen Ausfällen bei ihrer EM-Premiere offenbar nicht. „Ich selbst kümmere mich nicht um Shitstorms in den sozialen Netzwerken, die zudem ja nicht überraschend daher kommen“, sagte sie. „Ich wundere mich nur, dass alle Welt von mir dazu Erklärungen erwartet, dabei geht es doch in jeder Hinsicht um gesellschaftspolitische Aspekte und nicht um mich als Person.“
Trotzdem: Für ihren zweiten Auftritt als EM-Kommentatorin hat sie sich etwas vorgenommen. Denn – rein fachlich gesehen – sieht sie sich noch nicht am Ziel. „Ich bin ja nie wirklich zufrieden“, sagte sie am Donnerstag. So habe sie sich im Wales-Spiel „bei einer Elfmeterszene zu früh festgelegt, ohne die entscheidende Zeitlupe gesehen zu haben. Mein Blickwinkel war zu dem Zeitpunkt ein anderer. Das muss ich besser lösen“.