Berlin. Trotz des eigentlich ernsten Themas „Kriminalität“ wurde es bei Maybrit Illner lustig. Schuld daran war ein unbedarfter „Experte“.

Alle drei Minuten wird in Deutschland eingebrochen. Die Zahl dieser Delikte hat sich seit 2014 um knapp zehn Prozent erhöht. Aufgeklärt werden gerade einmal 14 Prozent der Fälle, noch seltener kommt es zu einer Verurteilung der Täter (rund drei Prozent). In manchen Stadtteilen haben sich gar Subkulturen gebildet, die eine Art eigene Rechtsordnung etabliert haben und an die Polizei nur schwer herankommt. Warum ist das so? Und was kann man dagegen tun?

„Einbruch, Diebstahl, Überfall – Kriminalität ohne Grenzen?“ lautete das Thema der Woche bei Maybrit Illner. Sie diskutierte darüber mit dem CSU-Bundestagsabgeordneten Stephan Mayer, Grünen-Parteivorsitzenden Cem Özdemir, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Sebastian Fiedler, dem Historiker und Gewaltforscher Jörg Baberowski sowie der Soziologin Gina Wollinger vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Als Sidekicks durften sprechen: der frühere Einbrecher und heutige Streetworker Hammed Khamis und Elke Wolber, Initiatorin der Anwohner-Gruppe „Bürgerhilfe Esch“.

Was sind die Gründe für die aktuelle Situation?

Auf die Beantwortung dieser Frage schien der stellvertretende BDK-Chef Fiedler das Monopol zu besitzen – zumindest war er mit gleich drei Erklärungsversuchen dabei:

Immer mehr Täter, zu wenig Polizei

„Die extremen Zuwächse gehen auf das Konto professioneller Täter“, so Fiedler. Da ein Polizeibeamter pro Tag aber immer nur eine gewisse Anzahl Fälle bearbeiten könne, müsse die Aufklärungsquote automatisch geringer werden, wenn die Straftaten anstiegen. „Oft scheitert es daran, dass man die Ermittlungskommission gar nicht zusammenstellen kann, weil die Ressourcen fehlen“, so Fiedler weiter. Da hörten Polizeibeamte Dinge ab, denen sie gerne nachgehen würden, das klappe aber nicht, weil keine Observationskräfte bereitgestellt werden können. Oder man möchte Telekommunikationsdaten nutzen, um festzustellen, ob man es mit einer Bande zu tun hat, das bereits zu wissen sei aber Voraussetzung dafür, dass man die Daten überhaupt nutzen darf. „Sehr oft beißt sich die Katze da in den Schwanz.“

Föderales System

Der Grund wiederum für die schlechte Ausstattung der Polizei liegt für Fiedler auch im föderalen System: „Wenn wir es für diese Täter, die professionell agieren, unattraktiv machen wollen, in Deutschland Straftaten zu begehen, dann müssen wir innerhalb des Föderalismus zu mehr Verbindlichkeiten kommen.“ Als Beispiel führte er die Bereitschaftspolizei an, die den Großteil ihrer Arbeit in Fußballstadien verbringt. „Da gibt es Verträge“, so Fiedler, „wie diese Hundertschaften strukturiert sind, wie die Ausbildung zu sein hat, wie viele Mittel vom Bund kommen. Bei der Kriminalitätsbekämpfung gibt es nichts dergleichen. Die Hauptverantwortung liegt hier beim Bundesinnenminister.“

Missbrauch des Asylsystems

Schon länger sei zudem bekannt, „dass Täter Asylverfahren nutzen, um hier aufhältig zu sein, Geld zu beziehen und in der Zeit Wohnungseinbrüche und Ladendiebstähle zu begehen“, sagte Fiedler: „Solange die Entdeckungswahrscheinlichkeit und die Aufklärungsquote gering sind, können sie sich hier wie im Supermarkt bedienen.“

Schlechte Sicherung

Auch auf den Aspekt der schlechten Sicherung wollte Maybrit Illner die Diskussion lenken, doch der Experte, der ihr das bestätigen sollte, hatte einen eher unglücklichen, weil unfreiwillig komischen Auftritt. „Ich bin doch hier nicht als Clown gekommen, warum lachen Sie denn?“, beschwerte sich der frühere Einbrecher Hammed Khamis. Vielleicht mag es daran gelegen haben, dass Khamis Sachen sagte wie: „Alarmanlagen ziehen Einbrecher eher an, weil man dann denkt, der hat was zu schützen, das guck’ ich mir mal an.“ Besser sei da schon ein Hund oder ein – Achtung – Sticker mit der Aufschrift „Wachsamer Nachbar“. Er selber stelle immer zwei paar Schuhe vor die Tür, damit die Leute denken, es sei jemand zu Hause. Na, wenn das mal kein Profi-Tipp ist.

Zu geringes Strafmaß

Dass Khamis früher selber Einbrüche verübt hat, habe weniger damit zu tun gehabt, dass er dachte, er werde sowieso nicht erwischt, als damit, dass die Strafen zu lasch gewesen sein. Dass der Staat sein Gewaltmonopol nicht stark genug durchsetze, fand auch CSU-Politiker Mayer. Und wie sich das für einen guten Bayer gehört, betonte er natürlich die Vorzüge des Freistaates: „Die Verrohung in unserer Gesellschaft verunsichert die Bürger stark. Hier ist der Staat gefordert. Wenn der nicht mehr in der Lage ist, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, ist das ein Offenbarungseid.“ Insbesondere NRW komme dieser Aufgabe nicht nach. Dort sei die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Einbruchs zu werden, sechsmal so hoch wie in Bayern.

Wie kann man die Situation ändern?

Mehr Polizei

Einig war man sich bei dem Ruf nach mehr Polizeikräften. Auch wenn Soziologin Wollinger bezweifelte, dass sich die Aufklärungsquote dadurch relevant ändern würde. „Einbrüche sind einfach schwer aufzuklären, weil die Täter kaum physische Spuren hinterlassen“, sagte sie. Interessant wäre deshalb, die Funkzellenabfrage zu stärken und Datenspuren auszuwerten. „Aber auch dafür braucht man Programme und Beamte, die das überhaupt auswerten können.“

Prävention

Laut Özdemir würden doch letztlich „arme Schweine Wohnungen von armen Schweinen angreifen.“ Man müsse daher dafür sorgen, dass alle eine adäquate Bildung bekommen und kein Kind auf der Strecke verloren gehe. Fiedler forderte zudem mehr Sozialarbeiter für besonders gefährdete Stadtteile, die er jedoch nicht als No-Go-Areas bezeichnete. „So etwas haben wir in Deutschland nicht.“

Härtere Justiz

„Von Bildung und Sozialarbeitern reden wir seit 40 Jahren“, entgegnete Historiker Baberowski. Seiner Ansicht nach helfe vor allem, wenn der Staat Zähne zeige. „Der Staat macht sich lächerlich, wenn er nicht mit Durchsetzungskraft in Erscheinung tritt“, so Baberowski. Nur ein wehrhafter Staat könne in seinen Augen auch liberal sein. „Wir vergessen, dass wir Errungenschaften wie Freiheit nur haben, weil es ein staatliches Gewaltmonopol gibt, dass Frieden erzwingen kann.“ Und Mayer forderte mit Blick auf den Missbrauch von Asylverfahren: „Wer hier eine Straftat begeht, muss konsequent abgeschoben werden.“

Mehr Bürgerinitiative

Wie man Einbrecher auch fernhalten kann, erklärte Elke Wolber, die in ihrem Dorf eine sogenannte Bürgerhilfe auf die Beine gestellt hat, nachdem es dort 2014 eine Reihe von Tageseinbrüchen gegeben hatte. „Wir gehen spazieren und wenn uns etwas auffällt, melden wir es der Polizei.“ Seit zwei Jahren sei so nicht mehr im Dorf eingebrochen worden. Die Politiker in der Runde bewerteten die Aktion positiv. „Ein wunderbares Zeichen von Zivilcourage“ nannte es Mayer, auch Özdemir hatte nichts auszusetzen, warnte allerdings vor „anderen Leuten, die selber polizeibekannt sind und die Ängste der Leute missbrauchen, um eine Paralleljustiz aufzubauen.“ Fiedler sah zudem die Gefahr, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich auch bei dem Thema Sicherheit auftue: „Die Reichen können sich ihre Sicherheit viel kosten lassen und die Armen sind auf zusammengesparte Polizeieinheiten angewiesen.“

Bessere Sicherungssysteme

Während Mayer auch bei der Einbruchsicherung auf das Engagement der Bürger setzte (“Über die KfW kann man Zuschüsse für einbruchshemmende Türen bekommen“), schlug Özdemir vor, den Einbau eines Mindestmaßes an Sicherungssystemen in Neubauten per Gesetz vorschreiben zu lassen. Alternativ reicht aber vielleicht auch ein Sticker. Oder ein paar Schuhe vor der Tür.

Die komplette Sendung in der ZDF-Mediathek.