Berlin. Woher rührt die große Faszination, die Seifenopern auf Millionen Deutsche ausübt? Eine Medienwissenschaftlerin nennt mehrere Gründe.

Raus aus dem Alltag, rein in die Welt der schönen Menschen und ihre Geschichten über Liebe, Herzschmerz und Intrigen: Die Faszination für Seifenopern ist ungebrochen. Millionen Deutsche gönnen sich täglich die magischen Minuten vor dem Fernseher. Vier Million Zuschauer sahen etwa am vergangenen Mittwoch die 6000. Folge von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten (GZSZ)“ (RTL); „Sturm der Liebe“ (ARD) erreichte mit über zwei Millionen Zuschauern kürzlich einen neuen Bestwert. „Rote Rosen“ (ARD) geht ab 26. Mai mit 200 Folgen und neuer Hauptdarstellerin Cheryl Shepard in die 13. Staffel. Die beiden letztgenannten Serien firmieren unter dem Begriff Telenovela, so nennt sich die Variante, in deren Mittelpunkt nur eine Hauptfigur steht.

Experte: Die Fernsehstars werden zur Ersatzfamilie

Was aber bewegt so viele Menschen, immer um die gleiche Zeit einzuschalten, ja, sogar ihre Tagesplanung nach der Serie auszurichten? „Irgendwann werden die Charaktere zu einem virtuellen Freundeskreis, den man täglich wiedersehen will“, erklärt Joan Katrin Bleicher, Medienwissenschaftlerin der Universität Hamburg. Und auf den ist Verlass. Anders als bei echten Freunden, mit denen wir erst Verabredungen aushandeln müssen. Und die sich nicht so einfach wegschalten lassen, wenn es uns reicht.

Das Wechselspiel von Nähe und Distanz, von Zugehörigkeit und Abgrenzung lässt sich bei unseren fiktiven Freunden problemlos steuern. Und wir dürfen hemmungslos über sie lästern, was bei echten Freunden problematisch ist.

Ein weiterer Faktor für den Erfolg der Seifenopern sind, so Bleicher, die stereotypen Charaktere. Da gibt es den Sonnyboy, die Tussi, die Übermutter, den Helden – für jeden ist jemand dabei. „Identifikation ist der Schlüssel“, sagt Bleicher. „Die wenig schattierten Charaktere sorgen dafür, dass wir uns leichter in deren Welt einfühlen und zurechtfinden.“ Das Salz im Seifen­wasser sind natürlich die Bösewichte. So wie Jo Gerner, der seit 23 Jahren Gemeinheiten bei „GZSZ“ ausheckt. 200 Jahre müsste er im realen Leben für seine Verbrechen ins Gefängnis, hat der Berufsverband der Rechtsjournalisten e.V. ermittelt. Die Serienfieslinge sündigen stellvertretend für uns. Wir können ihre bösen Taten konsumieren, aber brauchen keine Verantwortung zu übernehmen.

Verschiedene Erfolgsfaktoren

Noch ein Erfolgsfaktor: Die großen Themen Liebe, Freundschaft, Trauer sind direkt aus dem Leben gegriffen, werden aber zugespitzt. „Da greift der sogenannte Eskapismus. Wir fliehen vor eigenen Problemen in diese Traumwelten“, sagt die Expertin. Außerdem lässt es sich in die schablonenartigen Handlungen immer schnell einfinden: „Die absehbaren, in sich abgeschlossenen Ereignisse geben dem Zuschauer ein vertrautes Gefühl.“ All das lenkt vom Chaos des eigenen Lebens ab. Damit bilden Soaps einen Gegenpol zum unvorhersehbaren und unübersichtlichen echten Leben.

Das Spannungsverhältnis zwischen fremder und dennoch vertrauter Welt ist die erfolgreiche Psychologie der Soaps. Wir beobachten aus der Distanz: Schwierigkeiten sind die Würze des Lebens. Denn irgendwann ändert sich ja auch alles wieder. Soaps, eine wohltuende Pause vom ewigen Kreisen um uns selbst.