Berlin. Immer mehr Menschen werden keine ausreichende Rente bekommen. Wie könnte man das ändern? Die Gäste bei Illner hatten mehrere Ideen.

Teilzeit wider Willen, Minijobs, Werksverträge, Leiharbeit – immer weniger Menschen in Deutschland haben ein Berufsleben, das ihnen am Ende eine ausreichende Rente einbringt. Doch wie kann man gegensteuern? Reicht es, an ein paar kleineren Stellschrauben zu drehen oder braucht es den großen Systemwechsel?

Darüber diskutierte Maybrit Illner unter dem Motto „Reiches Land, arme Rentner – Deutschlands Zukunft?“ mit diesen Gästen: Manuela Schwesig, SPD-Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Paul Ziemiak, Bundesvorsitzender der Jungen Union, Klaus Dauderstädt, Vorsitzender des Deutschen Beamtenbundes (DBB), der gelernten Gebäudereinigerin und jetzigen Kundenbetreuerin Carla Rodrigues-Fernandes und dem selbstständigen Blogger und Autor Sascha Lobo.

Erfreulich an der Talk-Runde: Die Debatte wurde sachlich, ohne große Aufgeregtheit geführt, man ließ sich sogar gegenseitig weitestgehend ausreden – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die aber allzu oft nicht gelingt. Unerfreulich jedoch: Die Debatte drehte sich im Kreis, manche Gäste erzählten dreimal das Gleiche. Trotzdem kamen mehrere Ideen gegen Altersarmut zusammen.

Die Vorschläge im Überblick:

Mehr private Vorsorge

Wenn die ersten beiden Säulen des deutschen Rentensystems (gesetzliche Rentenversicherung und Betriebsvorsorge) nicht genügend einbringen, könnte die dritte Abhilfe schaffen – theoretisch. Doch private Vorsorge sei vielen Menschen gar nicht mehr möglich, weiß Carla Rodrigues-Fernandes durch ihre Arbeit in der Gebäudereinigungsbranche aus Erfahrung: „Viele meiner Kollegen schaffen es gar nicht, mit einer zusätzlichen Versicherung aufzustocken.“

Das gehe auch vielen künstlerisch-kreativ tätigen Selbstständigen so, sagte Sascha Lobo: „Von den 2,4 Millionen Solo-Selbstständigen verdienen 400.000 nicht einmal fünf Euro pro Stunde, davon kann man beim besten Willen keine Altersvorsorge betreiben.“

An den Löhne ansetzen

Kommen wir also zum Kern des Übels: prekäre Arbeitsverhältnisse. „Es kann doch nicht sein, dass man sein Leben lang arbeitet und am Ende gar nichts davon hat“, sagte Rodrigues-Fernandes, „das ist menschenverachtend.“ Den Mindestlohn, den Manuela Schwesig als ein Instrument für höhere Renten anführt, hält sie zwar für gut, „da ist aber noch Luft nach oben. Wir könnten auch über 12 Euro sprechen.“

8,50 Euro pro Stunde sind es aktuell, 11,40 Euro bräuchte man, um eine Rente auf dem Niveau der Grundsicherung zu erhalten. Dazu Schwesig: „Das Ziel ist nicht, dass die Menschen ihr ganzes Leben lang Mindestlohn verdienen, sondern Lohndumping nach unten zu vermeiden.“ Trotzdem sehe man auch, dass es viele Leute gebe, die fleißig arbeiten und am Ende sei ihre Rente genauso hoch als wenn sie nie gearbeitet hätten. „Das ist ungerecht und deshalb wollen wir die Lebensleistungsrente“, so Schwesig. Damit würden nicht ausreichende Renten aus Steuermitteln aufgestockt. Sie solle noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden.

Paul Ziemiak sieht die Gefahr einer „Politik nach dem Gießkannenprinzip“: „Schon jetzt zahlen wir 94 Milliarden Euro an Zuschüssen, das ist generationenungerecht.“ Man müsse sich ehrlich machen und auch darüber reden, wer das bezahlen soll.

Lebensarbeitszeit verlängern

Mehr Geld in die Rentenkasse käme seiner Ansicht nach, wenn die Leute länger arbeiten würden. „Es darf in der Diskussion keine Tabus geben“, so Ziemiak. Ein flexibles Renteneintrittsalter einzuführen, sei gut, meinte auch Schwesig: „Was aber nicht funktionieren wird, ist eine festgeschriebene Rente mit 70. Dafür werde es keine Akzeptanz geben. Und Lobo gab zu bedenken, dass eine Flexibilisierung zwar nie ganz falsch sein könne, es aber Leute gebe, die solche Entscheidungen nicht freiwillig, sondern aus der Not heraus treffen müssen.

Mehr Einzahler

Selbstständige, Beamte, Politiker – sie alle zahlen nicht in den Rententopf. Anders als etwa in der Schweiz. Wäre das nicht auch eine Lösung? Für Rodrigues-Fernandes schon: „Wir sind eine Gesellschaft, warum sollen dann nicht auch alle einzahlen?“ Was die Politiker angeht, sagte der Politiker Ziemiak: „Ich finde, jeder Abgeordnete sollte in die gesetzliche Rentenversicherung oder die Versorgungswerke einzahlen.“

Er meinte aber auch: „Wenn wir jetzt festlegen, dass alle Beamten einzahlen, dann hätte das einen Einmal-Effekt von vielen neuen Einzahlern. Aber man darf nicht vergessen, dass bei entsprechenden Beiträgen auch die Ansprüche höher sind.“ Und Schwesig fand: „Die unterschiedliche Behandlung ist ein heißes Eisen, weil sie Dauer keine Akzeptanz finden wird. Die SPD strebt deshalb das Modell der Bürgerversicherung an. Langfristig muss man das System auf andere Füße stellen.“

Steuerfinanzierte Rente

Beim Thema Systemwechsel war einer ganz vorne mit dabei: Immer wieder wies Lobo darauf hin, dass man die Wirkung der Digitalisierung auf die Arbeitswelt dramatisch unterschätze. „Wir müssen dem Rechnung tragen, dass die Leute flexibler mit Arbeit umgehen oder umgehen müssen.“

Mit dem starren Rentensystem, das man jetzt habe, sei das nicht möglich. „Im deutschen System ist ein Auseinanderdriften einprogrammiert, da es auf angestellte Arbeitnehmer fixiert ist, von denen es immer weniger gibt.“ In seinen Augen sei die Lösung deshalb ein System, bei dem alle per Steuer einzahlen. „Und alle bekommen etwas raus. Ich sehe nicht, was dagegen spricht. Schon jetzt werden ohnehin 25 bis 33 Prozent der Renten aus Steuergeldern finanziert.“

Zur Ausgabe von „Maybrit Illner“ in der ZDF-Mediathek