Berlin. Anne Will ließ ihre Gäste über das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei streiten. Doch einer wollte lieber über Jan Böhmermann reden.

Angela Merkel wandelt in der Flüchtlingskrise auf einem schmalen Grat. Um die Zahl der Migranten zu verringern, hat sie den EU-Türkei-Deal durchgesetzt. Das Abkommen wirkt, in Griechenland sind zuletzt deutlich weniger Menschen angekommen. Doch was ist der Preis dafür?

Bei ihrem Besuch in der Türkei wurde gerade erst deutlich, dass die Kanzlerin nicht mehr aus einer Position der Stärke auftreten kann. Kaum öffentliche Kritik an den Menschenrechtsverletzungen im Land und eine Stippvisite in einem auffallend herausgeputzten Flüchtlingslager – ihre Kritiker hat Merkel mit ihrem Besuch nicht überzeugt.

Am Sonntagabend beschäftigte sich auch ARD-Talkerin Anne Will mit der Frage, ob Merkel wegen des Flüchtlingsdeals zu viel Rücksicht auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nimmt. Diskutiert wurde das Thema von Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD), Grünen-Chef Cem Özdemir (Grüne), dem AKP-Politiker Mustafa Yeneroğlu und Selmin Çalışkan von Amnesty International.

Peter Altmaier verteidigt seine Kanzlerin

Peter Altmaier kam in der Diskussion naturgemäß die Rolle zu, seine Kanzlerin zu verteidigen. Angela Merkel habe ihre Sorgen über die Menschenrechtssituation in der Türkei immer wieder zum Ausdruck gebracht, sagte er. Die Kanzlerin setze sich in vielen Gesprächen für die Lösung von Problemen ein. „Das ist manchmal effektiver, als öffentliche Showveranstaltungen“, befand Altmaier. Zugleich verwahrte sich der oberste Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung gegen Kritik am Deal mit der Türkei. „Das Abkommen ist überhaupt nicht schmutzig“, sagte Altmaier. Seit Inkrafttreten sei kaum noch ein Mensch in der Ägäis ertrunken.

Widerspruch erhielt der CDU-Politiker von Selmin Çalışkan. „Merkel kritisiert Erdoğan nicht“, stellte die Generalsekretärin von Amnesty in Deutschland fest. Zudem habe sich die Kanzlerin bei ihren Türkei-Besuchen weder mit Aktivisten noch mit Oppositionellen oder Journalisten getroffen. Auch den Deal sieht Çalışkan mit Skepsis. „Man geht mit Menschen um wie mit Vieh“, kritisierte die Menschenrechtlerin. Dabei sei die Freude über die gesunkenen Ankunftszahlen nicht nur zynisch, sondern auch voreilig: „Die Menschen werden andere Wege suchen, zum Beispiel über die gefährlichere Mittelmeerroute.“

AKP-Politiker Yeneroğlu gegen Jan Böhmermann

Ähnlich äußerte sich Cem Özdemir. „Ich will keine Show von Frau Merkel, sie muss sich auch mit den unangenehmen Zeitgenossen der Welt treffen“, räumte der Grün ein. Trotzdem müsse sie auch die Führer der Opposition treffen: „Das hat Merkel in Moskau getan, in der Türkei aber nicht.“ Mit Blick auf das Abkommen erklärte Özdemir eine grundsätzliche Unterstützung. Allerdings werde ein zu hoher Preis gezahlt, wenn dafür die Menschenrechte nicht mehr thematisiert werden könnten.

Die kontroverse Position nahm in der Debatte Mustafa Yeneroğlu ein, der als AKP-Abgeordnete Erdoğan verteidigte und sich insbesondere dem Fall Jan Böhmermann widmete. „Herr Schulz, wenn jemand ihnen unterstellen würde, besondere Beziehungen zu Ziegen zu pflegen, dann darf man das nicht mit der Meinungsfreiheit verteidigen“, fasste Yeneroğlu seine Kritik am Schmähgedicht des Satirikers zusammen. Zugleich kritisierte Yeneroğlu, dass in Deutschland so getan werde, als habe man die Menschenrechte gepachtet. Dabei gebe es hier Anschläge gegen Flüchtlinge und Hass auf den Islam.

Martin Schulz macht den letzten Punkt

Der so von Yeneroğlu angesprochene Martin Schulz wollte die Rechtfertigung des türkischen Parlamentariers in der Causa Böhmermann nicht gelten lassen. „Jeder der hier sitzt, wird im Internet täglich beleidigt“, sagte der Präsident des EU-Parlaments. Erdoğans Reaktion aber sei symptomatisch: Statt souverän mit Böhmermanns Gedicht umzugehen, setze er auf Klagen. Der Schaden, welcher der Türkei zuletzt entstand, sei enorm, befand Schulz: „Die Türkei ist auf dem Weg in einen autoritären Staat.“ Mit der Kanzlerin ging Schulz zurückhaltender ins Gericht. Merkel habe weniger Spielraum als etwa ein Cem Özdemir.

Insgesamt kam in der hitzigen Diskussion einiges zur Sprache: Der Fall Böhmermann, der Flüchtlingsdeal, die innenpolitische Situation in der Türkei, das Schicksal der Flüchtlinge. Am Ende war es Martin Schulz, der dieser Agenda einen weiteren wichtigen Punkt hinzufügte. Es gebe, sagte er, einen einfachen Grund dafür, dass man überhaupt mit der Türkei zusammenarbeiten müsse: „Mehr als 20 EU-Staaten haben eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge verweigert. Ohne diese Weigerung gäbe es keine Krise.“

Zur Ausgabe von „Anne Will“ in der ARD-Mediathek