Essen. Die Dokumentation „Ein Hells Angel – unter Brüdern“ auf Arte zeigt, wie Rocker ticken. Allerdings lässt sie kritische Töne vermissen.

Das Rockermilieu ist die wahrscheinlich älteste Parallelgesellschaft im Nachkriegsdeutschland. Den oft verfeindeten Motorradgangs gemein ist ihre Abneigung gegenüber der Öffentlichkeit. Regisseur Marcel Wehn ist es mit dem Dokumentarfilm „Ein Hells Angel – unter Brüdern“ (Mittwoch, 13. April, 22.15, Arte) Uhr gelungen, ein sogenanntes Charter, einen lokalen Klub der Hells Angels von innen zu beleuchten.

Der 90-minütige Film entstand zwischen 2008 und 2013 und kam Anfang 2015 ins Kino, nachdem er im Jahr zuvor den Preis für den besten Dokumentarfilm beim Filmfestival Neiße erhalten hatte. Kritiker äußerten sich zwiespältig und bemängelten bei der jetzt erstmals im TV ausgestrahlten Produktion des SWR etwa mangelnde Distanz zum Protagonisten.

Protagonist ist deutsche Rockerlegende

Der Protagonist heißt Lutz Schelhorn und ist eine deutsche Rockerlegende. Einst der jüngste Hells Angel weltweit, war der 1959 geborene Ingenieurssohn im Alter von 22 Jahren Mitbegründer des zweiten deutschen Klubs der US-Rockergruppe. Dieses Charter in Stuttgart leitet Lutz Schelhorn noch immer, bald soll sein Sohn auch Mitglied werden.

Schelhorn ist Fotograf, auch politisch aktiv und würde, abgesehen von seinen Tätowierungen, auch als gemütlicher Vereinspräsident aus dem Ländle durchgehen. Der Kettenraucher wollte „ein bisschen dazu beitragen, dass Rocker nicht mehr automatisch als Kriminelle gesehen werden“. Er ermöglichte dem Filmemacher deshalb den Kamerablick in den inneren Kreis der Hells Angels. Beginnend mit der Beerdigung von Schelhorns Bruder, der kurz vor Beginn der Dreharbeiten plötzlich an einem Herzinfarkt verstorben war.

Kritik kommt nur oberflächlich zur Sprache

Die Filmaufnahmen haben Kinoqualität, die Kamera und die Regie sind in klassischer Dokumentarfilmtradition eher zurückgenommen. Man staunt über die zumeist spießige Alltagswelt der ergrauten Rocker im VW Passat Kombi oder in Reih und Glied beim Herrenabend mit Stripperin. Bevor es zu motorradromantisch wird, lässt Regisseur Wehn Polizisten Klartext über Motorradgangs reden, zumindest ansatzweise.

Zusehends wandelt sich die Rockerdokumentation zum Schelhorn-Porträt. Der spricht sich an vielen Stellen gegen Bandenkriminalität, Drogen, Schusswaffen und voller Empörung gegen Vergewaltigung aus. Doch je länger er redet, umso mehr wird sein zweifelhaftes Verhältnis zur Gewalt deutlich. Auch der bravste schwäbische Rocker stellt sich über das Gesetz.

Der Film lässt ihn gewähren. Das muss man einer Dokumentation nicht unbedingt ankreiden. Dass sie nur oberflächlich nach kritischen Tönen fahndet, sehr wohl. Frauen kommen praktisch nicht zu Wort. Opfer oder Aussteiger aus dem Milieu ebenfalls nicht. Aber der Rocker, der einen Polizisten durch eine Wohnungstür erschossen hat. Spätestens an dieser Stelle bekommt der Film eine gefährliche Schräglage.

Fazit: Inhaltlich und filmisch interessante Dokumentation über einen Teil der Rockersubkultur, die jedoch zu viele Aspekte ausblendet.

Mittwoch, 13. April, 22.15 Uhr, Arte: „Ein Hells Angel – unter Brüdern“