Berlin. Ist die deutsche Justiz auf dem rechten Auge blind? Dieser Frage ging Frank Plasberg am Montag mit Blick auf die NSU-Mordserie nach.

Die Mordserie des NSU ist eine der beschämendsten Episoden der deutschen Nachkriegsjustiz. Während die Täter über Jahre hinweg scheinbar wahllos Migranten ermordeten und Anschläge verübten, drangsalierten die Ermittler die Hinterbliebenen nicht selten mit Anschuldigungen und Vorwürfen. Kein rechtsradikaler Hintergrund, vielmehr Familienfehden und Mafiakriege wurden als Ursache vermutet.

Am Montagabend zeigte die ARD den zweiten Teil des Politdramas „Mitten in Deutschland“ , das die Hintergründe der NSU-Mordserie darstellte. Ein überfälliger Film, der im Anschluss von Frank Plasberg zum Anlass genommen wurde, zu debattieren, ob die deutsche Justiz auf dem rechten Auge blind ist. „Wie gefährlich ist die rechte Gewalt?“, fragte die Redaktion von „Hart aber fair“. Diskutiert wurde von der Opfer-Vertreterin Meral Sahin, Günter Beckstein (CSU), dem Diplompädagogen Thomas Mücke, der Journalistin Annette Ramelsberger und dem Anwalt Thomas Bliwier.

Beckstein im Zentrum der Diskussion

Die kontroverseste Stellung nahm in der Diskussion Beckstein ein. Weil der NSU seine brutalen Morde während Becksteins Amtszeit als bayrischer Innenminister verübte, kam dem CSU-Politiker die Rolle zu, das mindestens inkompetente Verhalten der Behörden zu erklären. Dazu verlegte sich Beckstein auf eine „Ja, aber...“-Haltung. Ja: Es wurden Fehler gemacht. Aber: Eine Vertuschung hat nicht stattgefunden.

„Es war klar, dass das keine Amateure, sondern Profis waren“, beschrieb Beckstein den Hintergrund der Ermittlungen. Man habe jede Spur verfolgt, auch solche in die rechtsextreme Szene. Zeitweilig seien bis zu 150 Beamte in der Soko eingesetzt worden. Trotzdem habe man einfach nichts Handfestes gefunden. Zudem hätten die – in Teilen aber notwendigen – Ermittlungen im Umfeld der Opfer den Hinterbliebenen zusätzliches Leid gebracht. „Das war die größte Niederlage der bayrischen Polizei zu meiner Zeit“, räumte Beckstein ein.

Der Anwalt gibt Contra

Diese Haltung wollte insbesondere Thomas Bliwier nicht gelten lassen. Mit fundierter Aktenkenntnis wies der Anwalt, der im Münchner NSU-Prozess eine Familie in der Nebenklage vertritt, nach, dass an bestimmten Stellen sehr wohl systematisch gegen eine Offenlegung der Hintergründe gearbeitet wurde. „Der Verfassungsschutz wusste, was passiert“, fasste Bliwier zahlreiche dahingehende Belege zusammen. Doch statt einzugreifen, habe er die Organisation indirekt mit Zahlungen an V-Leute mitaufgebaut. „Die Radikalisierung des NSU ist maßgeblich durch den Verfassungsschutz erfolgt“, sagte Bliwier. Doch trotz aller Beweise werde weiter gemauert. „Wenn man nicht sucht, findet man auch nichts.“

Ähnlich sah das Annette Ramelsberger, die für die „Süddeutsche Zeitung“ vom NSU-Prozess berichtet. Dort würden überwiegend Polizisten und Verfassungsschütz auftreten, die selbstsicher seien und keine Fehler zugeben würden. „Das Versagen wird nicht eingestanden, man hat immer noch nicht verstanden, um was es geht“, sagte Ramelsberger. Das genaue Bild von der Verwicklung von staatlichen Stellen sei unterdessen weiterhin diffus. „Es bleibt die Grauzone: War da mehr?“

„Gleichgültigkeit gegenüber dem Hass“

Wie sehr das Versagen und die Vertuschung an die Substanz der Opfer geht, konnte Meral Sahin berichten. Sahin betreibt seit Jahren einen Laden in der Kölner Keupstraße – jener Straße, in der am 9. Juni 2004 eine Nagelbombe des NSU 22 Menschen verletzte. Viele Anwohner hätten die Ermittler früh auf einen möglichen rechtsradikalen Hintergrund hingewiesen, sagte Sahin. Einer etwa habe den Verdächtigen gesehen ihn als einen blonden Mann mit Basecap beschrieben. Dennoch seien die Behörden von einem Anschlag im türkischen Milieu ausgegangen. „Das hat Spaltungen erzeugt“, sagte Sahin. Die Menschen hätten zunächst den Behörden gegenüber und später auch untereinander Misstrauen empfunden.

Eine Lanze für Ermittler wurde schließlich von Thomas Mücke gebrochen. „Die Gesellschaft hat nicht auf diese Jugendlichen reagiert“ , sagte der Pädagoge, der unter anderem auch mit rechtsextremen Jugendlichen arbeitet, mit Blick auf das NSU-Trio. Daher liege nicht nur ein Staats- sondern auch Gesellschaftsversagen vor. „In dem Umfeld gab es eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Hass.“

Der bewegendste Moment der Sendung war am Ende Bliwiers Schlusswort. Was sich die Familie, die er vertritt, denn vom NSU-Prozess erhoffe, wollte Plasberg wissen. „Es geht nicht um eine maximale Strafe für Frau Zschäpe“, sagte Bliwier. Entscheidend sei, dass der Tod ihres Sohnes endlich vollständig aufgeklärt werde.

Zur Ausgabe von „Hart aber fair“ auf der Website der Sendung.