Berlin. Gefährdet die Flüchtlingskrise sozialen Frieden? Während die Koalition darüber streitet, sieht es ein Bürgermeister aus NRW gelassen.

In der Flüchtlingskrise ging es bisher vorrangig um die Frage, wie die Zahl der Migranten gesenkt werden kann. Spätestens seit diesem Jahr rücken aber auch die innenpolitischen Folgen stärker in den Blick: Wie können so viele Menschen integriert werden? Wie vermeidet man alte Fehler bei der Integration? Und was kostet das alles am Ende?

Diesem Thema widmete sich am Donnerstagabend auch Maybrit Illner. „Integration oder Spaltung – was kostet uns der soziale Frieden?“ fragte die Redaktion mit Blick auf die Forderung von SPD-Chef Sigmar Gabriel, die Ausgaben für die Flüchtlinge zugunsten des sozialen Friedens mit einem „Sozialpaket“ für die allgemeine Bevölkerung zu flankieren. Zur Diskussion hatten sich Jens Spahn (CDU), Ralf Stegner (SPD), die Filmemacherin Rita Knobel-Ulrich, der CDU-Bürgermeister Andreas Hollstein und der Wirtschaftsforscher Clemens Fuest eingefunden.

Spahn: „Die SPD redet sich klein“

Der von Gabriel losgetretene neue Streit in der Koalition fand von der ersten Minute an auch Eingang in die Debatte. Auf der einen Seite Jens Spahn, der als Staatssekretär des Finanzministeriums die Linie der CDU vertrat und dementsprechend nichts von einem „Sozialpaket“ wissen wollte.

„Wir sollten nicht sagen, dass es den Menschen in Deutschland schlecht geht“, forderte Spahn. „Uns geht’s so gut wie seit 30 Jahren nicht mehr.“ Außerdem habe die große Koalition schon jetzt viele Projekte für die einheimische Bevölkerung auf den Weg gebracht. Statt aber zum Beispiel auf die Rente mit 63 oder die Pflegereform zu verweisen, würde die SPD aus wahltaktischen Gründen ihre eigenen Erfolge kleinreden und populistische Töne anschlagen. „Hat hier irgendjemand einen Euro weniger gehabt?“, fragte Spahn später rhetorisch. Bisher hätten die Deutschen wegen der Flüchtlingskrise nur auf Turnhallen verzichten müssen.

Stegner sah das natürlich anders. Es müsse doch etwas dran sein am gefährdeten sozialen Frieden, wenn die Rechtspopulisten so hohe Umfragewerte hätten, sagte der stellvertretende SPD-Parteivorsitzende. „Die Menschen machen sich Sorgen, wir haben eine schrille Debatte.“ Die Akzeptanz für Flüchtlinge werde gestärkt, wenn die Politik deutliche mache, dass in die Zukunft von allen investiert wird, sagte Stegner. Derzeit sei aber eine Spaltung zu erkennen, die von „Rattenfängern“ genutzt werde. „Viele sagen: Was ist eigentlich mit mir?“ Das bereite ihm Sorgen.

Keine verlässlichen Zahlen

Doch wie viel wird die Integration voraussichtlich eigentlich kosten? Verlässliche Zahlen, dass machte auch der Ökonom Clemens Fuest deutlich, gibt es bisher nicht. Ein Asylbewerber koste derzeit jährlich bis zu dem Moment, in dem er Arbeiten darf, etwa 12.000 Euro pro Jahr. Feststehe trotz vieler Unwägbarkeiten, dass die Anstrengung groß sein werde, auch weil viele Menschen über geringe Qualifikationen verfügen würden. „Wir dürfen nicht zu viel erwarten. Das Schulsystem zum Beispiel in Syrien ist viel schlechter als in den OECD-Ländern“, sagte der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Genauso skeptisch sah Fuest die Forderungen der SPD. „Wir haben kein Geld zu verteilen.“

Eine echte Bereicherung des klassischen Koalitionsstreits zwischen Spahn und Stegner war auch Andreas Hollstein. Ruhig und sachlich berichtete der Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Stadt Altena aus der Praxis. Die lokale Wirtschaft sei daran interessiert, die Flüchtlinge in Arbeit zu bringen, sagte Hollstein. Dazu müssten aber rechtliche Hürden abgebaut werden. Entscheidend sei letztlich aber die Verzahnung von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfern. „Wir schaffen das nicht aus der Portokasse, aber wir stehen auch nicht vor einer Katastrophe“, fasste Hollstein zusammen.

Die Rolle der Empörten kam Rita Knobel-Ulrich zu. Wortreich prangerte die ZDF-Journalistin die Verfehlungen der Politik an. So sei es etwa völlig unverständlich, dass die Behörden noch immer nicht genau wüssten, wie es um die Qualifikation der Flüchtlinge bestellt sei. „Das ist doch blöd“, stellte Knobel-Ulrich fest. Ansonsten wurde deutlich, dass die Filmemacherin wegen kultureller Unterschiede eine besonders große Herausforderung bei der Integration der männlichen Flüchtlinge sieht. Zur Überwindung dieser Unterschiede seien beispielsweise Praktika notwendig, damit die Männer etwa im Supermarkt lernen könnten, dass eine Frau auch ihre Chefin sein kann.

Das bezeichnende Fallbeispiel eines jungen Afghanen

Als interessantes Fallbeispiel brachte die Gastgeberin zwischendurch das Schicksal von Mazour Hossein Sharifi ein. Dem jungen Afghanen gelang eigentlich ein Traumstart in Deutschland: Nach fünf Jahren im Land beherrscht er die Sprache ordentlich und bekam sogar einen Ausbildungsplatz in der Gastronomie angeboten. Die Behörden verweigerten allerdings die Genehmigung, weil Sharifi nur geduldet ist und zunehmend schlechte Aussichten auf eine langfristige Bleibeperspektive hat, da Afghanistan wohl zu einem sicheren Drittstaat erklärt werden wird.

In wenigen Sätzen schilderte Sharifi vor diesem Hintergrund ein eigentlich kompliziertes Problem, nämlich wie verfahren das deutsche Asylsystem sein kann. „Was ich nicht verstehe ist, warum ich erst nach fünf Jahren abgeschoben werde“, sagte Sharifi mit Blick auf lange und undurchsichtige Bearbeitungsprozesse. Da wäre es doch besser gewesen, wenn man ihn gleich nach Hause geschickt hätte. Trotzdem würde Sharifi die Ausbildung gerne machen. „Ich möchte auf meinen eigenen Füßen stehen.“ Und wenn er dann doch zwischendrin abgeschoben würde? „Dann hätte ich wenigstens etwas gelernt.“

Die Sendung in der ZDF-Mediathek