Berlin. Wie lange kann die Kanzlerin ihre Flüchtlingspolitik noch halten? Diese Frage diskutierten bei Maybritt Illner vor allem zwei Gäste.

Tageskontingente, Transitzonen, abgeriegelte Binnengrenzen – bisher wehrt sich Angela Merkel gegen nationale Maßnahmen in der Flüchtlingskrise. Ihr Dreiklang ist ein anderer: Schutz der EU-Außengrenze, Bekämpfung der Fluchtursachen und eine faire Verteilung der Lasten in Europa – so lautet der Ansatz der Kanzlerin.

Doch wie lange kann Merkel diesen langfristig orientierten Kurs noch durchhalten? Und wer steht überhaupt noch zu ihr? Diese Fragen stellte am Donnerstagabend Maybrit Illner im ZDF. Diskutiert wurden sie von SPD-Chef Sigmar Gabriel, CSU-Politiker Edmund Stoiber, dem Theologen Manfred Rekowski, Journalist Christoph Schwennicke und Melissa Fleming vom UN-Flüchtlingshilfswerk.

Gabriel und Stoiber inszenieren Koalitionsstreit im Talkformat

Schnell wurde deutlich, dass die Sendezeit zu großen Teilen von Gabriel und Stoiber gefüllt werden würde. Das lag auch an Illner, die das Gros ihrer Fragen an die beiden Politiker adressierte. Und so inszenierten Gabriel und Stoiber den Koalitionsstreit im Talkformat.

Auf der einen Seite der Vizekanzler, der etwas zerknirscht, am Ende aber doch leidenschaftlich für den Ansatz der Kanzlerin stritt. „Das Hochziehen nationaler Grenzen führt in eine Sackgasse“, verwahrte sich Gabriel gegen die einschlägige Forderung der Merkel-Kritiker. Stattdessen müsse man auf eine europäische Lösung setzen. Es werde Fortschritte bei der Zusammenarbeit mit der Türkei geben, und auch die Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Staaten werde mittelfristig funktionieren. „Wenn wir einen Fehler gemacht haben, dann den, dass wir die Bereitschaft zu gemeinsamer Verantwortung in Europa unterschätzt haben“, gab sich Gabriel unbeirrt.

Treffen sich zwei Merkel-Kritiker

Die Politik-Profis Sigmar Gabriel (r.) und Edmund Stoiber beherrschten die Diskussion.
Die Politik-Profis Sigmar Gabriel (r.) und Edmund Stoiber beherrschten die Diskussion. © imago/Metodi Popow | imago stock&people

Edmund Stoiber sah das natürlich ganz anders. Zwar sei es richtig, eine europäische Lösung anzustreben, doch werde diese nicht schnell genug kommen. „Die Europäer sehen die Flüchtlingskrise als deutsches Problem an“, sagte der CSU-Politiker. Deutschland werde im Ausland zwar bewundert, den deutschen Weg wolle aber kein anderer Staat gehen. Mittelfristig sei Merkels Kurs daher nicht zu halten. „Wir werden zu nationalen Maßnahmen kommen müssen.“

Als noch schärferer Merkel-Kritiker entpuppte sich Christoph Schwennicke. An einen Kurswechsel glaubt er allerdings nicht so recht. Merkel werde ihren Standpunkt nicht mehr ändern, sagte der Chefredakteur des Cicero resigniert. Ihr Verhalten grenze an Realitätsverweigerung. „Man könnte meinen, dass sie sich zur Märtyrerin stilisieren will.“

Flüchtlinge wählen neue Routen

Die anderen Gäste kamen bei so viel geballter Politikerkraft auch wegen einer viel zu zurückhaltenden Moderation kaum zu Wort. Während Schwennicke sich immerhin zwischendurch einschalten konnte, blieb Rekowski und Fleming nur ein Bruchteil der Redezeit. Dabei hatten beide durchaus etwas zu sagen.

UNHCR-Sprecherin Fleming etwa berichtete eindringlich von der Situation an der EU-Außengrenze. Vielen Flüchtlingen sei noch nicht bekannt, dass die Grenzkontrollen auf dem Balkan zunehmen. Doch auch das werde nichts nützen: Die Menschen würden sich einen anderen Weg suchen, sobald sich die verschärften Maßnahmen herumgesprochen hätten. Schon jetzt böten Schlepper alternative Routen an. Grund für die Massenflucht sei, dass die Entwicklungsländer jahrelang von der Weltgemeinschaft vernachlässigt worden seien. Ständig sei die Finanzierung gekürzt worden, Kriege dauerten immer länger. „Das bedeutet für die Menschen Elend“, sagte Fleming. Natürlich sei es da attraktiv, die Reise nach Deutschland oder Schweden zu wagen.

Auch Manfred Rekowski betonte, dass es in erster Linie notwendig sei, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Zugleich erinnerte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland mit Blick auf die Unionsparteien daran, dass es die Pflicht eines Christen sei, Menschen in Not zu helfen. Statt früh zu unterstützen, hätte die Weltgemeinschaft aber bei den Krisenherden der Welt zu lange einfach nur zugeschaut. Dabei reiche es nicht aus, nur das Existenzminimum der Menschen zu sichern.

Ein gefährliches Lob

Insgesamt hätte es der Diskussion gutgetan, wenn der Fokus weniger auf Gabriel und Stoiber gelegen hätte. Immerhin sorgten die beiden am Ende einer anstrengenden Debatte für etwas Heiterkeit. Auf die Frage, ob er nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt am 13. März noch Chef der SPD sein werde, antwortete Gabriel entschieden: „Ja, ganz sicher.“ Überraschende Unterstützung erhielt er in diesem Punkt von Stoiber, der das ganz ähnlich sah: „Ich will Ihnen ja nicht schaden, aber es gibt in der SPD einfach keine Alternative“, begründete Stoiber seine Einschätzung.

Die Sendung in der ZDF-Mediathek