Berlin. Wie viel Zeit bleibt Angela Merkel in der Flüchtlingskrise? Bei „Hart aber fair“ focht ein Gast besonders eifrig für die Kanzlerin.

Isoliert in Europa, kritisch beäugt von der eigenen Partei, in den Umfragen auf dem absteigenden Ast – seit Monaten wird der Sturz von Angela Merkel herbeigeredet. Ursächlich ist die Flüchtlingskrise, in der sich Merkel auf eine langfristige Politik festgelegt hat: Bekämpfung der Fluchtursachen, Schutz der Außengrenzen und eine faire Verteilung der Lasten in der EU – so lautet der Dreiklang der Kanzlerin.

Doch was, wenn die Flüchtlingszahlen trotzdem nicht sinken? Diese Frage stellte am Montagabend Frank Plasberg. Bei „Hart aber fair“ ließ er Merkels Bilanz analysieren: Welche Ziele hat die Kanzlerin in der Flüchtlingskrise erreicht? Und wer glaubt noch an ihre Strategie? Diese Fragen diskutierten Jens Spahn (CDU), Katja Kipping (Linkspartei), die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan, der Publizist Wolfram Weimer und der CSU-Politiker Wilfried Scharnagl.

Alle gegen Spahn

Als einsamer Verteidiger von Angela Merkel trat Jens Spahn auf. Eine Spaltung der CDU redete das Mitglied des CDU-Bundesvorstands schnell weg: Natürlich sei die Debatte auch in seiner Partei genauso wie in der gesamten Gesellschaft polarisiert. Allerdings sei man sich einig, dass viel passiert sei. Mit der Türkei sei man auf dem Wege einer Einigung, in der Ägäis würde die Nato die EU-Außengrenze kontrollieren und in London habe die Syrien-Geberkonferenz wichtige finanzielle Hilfe für die Bürgerkriegsregion mobilisiert. „Wir sind nicht am Ziel, aber wir sind einer europäischen Lösung so nah wie lange nicht mehr“, fasste Spahn zusammen.

Von dieser positiven Bilanz wollte Wolfram Weimer nichts wissen. Merkel sei beim EU-Gipfel mit der Verteilung der Flüchtlinge und dem „Club der Willigen“ gescheitert, sagte der Journalist. Nun hänge alles von der Türkei ab, von der sich die EU und Deutschland bis zur Erpressbarkeit abhängig gemacht hätten. Präsident Erdogan sei ein Despot und Kriegstreiber, der ein neues osmanisches Reich anstrebe. „Mit dem jetzt den großen Deal zu machen, halte ich für völlig falsch.“

Ganz ähnlich sah das Wilfried Scharnagl, der als CSU-Mann deutlich machte, wie gespalten die Union in der Flüchtlingskrise ist. Merkel sei mit ihrer Flüchtlingspolitik in Europa gescheitert, weil die anderen Staaten die Krise als deutsches Problem ansehen würden, sagte der frühere Chefredakteur des CSU-nahen Bayern Kuriers. Der einzige Ausweg wäre daher eine radikale Wende der Kanzlerin. „Macht euch nicht auf den Weg, ihr kommt nicht mehr rein“, das müsse die Kanzlerin denen, die noch kommen könnten, sagen.

Solidarität im Zweifel kaufen

Kritik an der Kanzlerin äußerte auch Katja Kipping. Die Bundesregierung habe ein Auseinanderdriften der Gesellschaft angezettelt, weil sie die Flüchtlingshilfe nicht durch eine insgesamt sozialere Politik flankiert habe, sagte die Parteivorsitzende der Linken. Auf europäischer Ebene erhalte Merkel jetzt außerdem die Quittung für die vielen Jahre, in denen sich Deutschland nicht solidarisch gezeigt habe.

So sah das auch Gesine Schwan, die darüber hinaus dafür plädierte, die Flüchtlingskrise als Wachstumsmotor zu verwenden. Statt die anderen EU-Staaten zur Aufnahme von Flüchtlingen zwingen zu wollen, müsse ihnen der Schritt durch finanzielle Hilfen schmackhaft gemacht werden. „Ich will die Solidarität kaufen“, gab die SPD-Politikerin auf Nachfrage zu. Dass sei leider nötig, weil sie in den vergangenen Jahren in der EU, etwa im Zuge der Griechenlandkrise, zerstört worden sei.

Seehofer droht und droht

Am Ende kam auch dieser Talk nicht umhin, sich der CSU zu widmen. Seit Monaten droht deren Chef Horst Seehofer der Kanzlerin mit Konsequenzen, im Zweifel gar mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, sollte sie ihren Kurs nicht ändern. Passiert ist bisher nichts, was aber laut CSU-Mann Scharnagl nichts zu bedeuten hat. „Bayern wird zur rechten Zeit klagen. Es ist juristisch alles abgeklärt.“ Dies müsse aber nicht zwingend das Ende der Bundesregierung bedeuten.

Eine plausiblere Erklärung für Seehofers Schattenboxen hatte Weimer. „Die Klage wird am 14. März eingehen“, also einen Tag nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen, prognostizierte der Journalist. Bis dahin werde Seehofer die Füße still halten.

„Nichts ist alternativlos“

Insgesamt wurde deutlich: Die in Aussicht gestellte Zwischenbilanz ihrer Flüchtlingspolitik hat Merkel erst mal nach hinten verschoben. Die entscheidende Frage ist, wie viel Zeit ihr noch bleibt, um die Zahlen zu senken. Eine erstaunliche Feststellung hatte dazu am Ende ihr Vertreter Jens Spahn. „Jeder weiß: Wenn sich nichts verändert, wird in den nächsten Wochen etwas passieren. Nichts ist alternativlos.“

• Die Ausgabe von „Hart aber fair“ können Sie in der ARD-Mediathek als Stream anschauen.