Berlin. Von der „geheimen Fressformel“ bis zur aufgespritzten Hühnerbrust: ZDFzeit-Doku beleuchtet die „Tricks der Lebensmittelindustrie“.

Günstig muss es sein, leicht zuzubereiten und schmecken sollte es auch. Das sind die Ansprüche der Kunden an die Lebensmittelindustrie. Paniertes Hähnchen zum Schnäppchenpreis, günstiges Schokodessert mit extra fluffiger Sahnecreme – rund 170.000 industriell gefertigte Lebensmittel-Produkte gibt es auf dem deutschen Markt. Und damit der Kunde auch zum „richtigen“ Produkt greift, lassen sich Hersteller viel einfallen. Diesen „Tricks der Lebensmittelindustrie“ ging Branchenkenner Sebastian Lege für die gleichnamige ZDFzeit-Doku auf den Grund.

Die Enthüllungs-Story, die der Sender angekündigt hatte, wurde es zwar nicht. Aber selbst längst aufgedeckte Tricks und Mogeleien der Industrie bleiben auch aufgewärmt interessant.

Die „geheime Fressformel“

Tricks wie die „geheime Fressformel“ zum Beispiel. Warum hören wir erst auf, Chips zu essen, wenn die Tüte leer ist? Weil es von der Industrie genau so gewollt ist. Chips bestehen zu 35 Prozent aus Fett, der Anteil der Kohlenhydrate liegt bei 55 Prozent. Diese Zusammenstellung brennt ein Lust-Feuerwerk in unserem Gehirn ab. Schon Ratten können da nicht widerstehen: Liegt der Rezeptur die 55/35-Formel zugrunde, ist das Sättigungsgefühl kein Maßstab mehr: Die Tiere essen, bis alles verputzt ist.

Der Geschmack spielt bei Versuchsratten nur eine untergeordnete Rolle. Beim Menschen dürfte es ähnlich sein, denn wenn wir Koch und Lebensmitteltechniker Sebastian Lege öfter bei der Herstellung von Kartoffelchips zusähen, würde uns der Appetit vielleicht doch irgendwann vergehen. Chips sind hauchdünne Kartoffelscheiben? Nein, nicht wirklich. Handelsübliche Chips bestehen zu einem großen Teil aus Reismehl und allerlei Zusatzstoffen. Kartoffeln sind nur in Flöckchenform enthalten. Die Pampe wird ausgerollt, in mundgerechte Häppchen geteilt und frittiert.

Der Trick mit der Würze

Ein französisches Grillhähnchen, artgerecht aufgezogen und geschlachtet, kostet mehr als zwölf Euro pro Kilo. Beim Discounter gibt es gegrilltes Hähnchenfleisch für weniger als vier Euro pro Kilo. Wie kann das sein? „Das Fleisch ist von minderer Qualität“, erklärt Lege. Damit es trotzdem hochwertig schmeckt, greift der Profi zur Würze: Wasser, Salz, Raucharoma und – ganz wichtig – Hefeextrakt. Nach Glutamat die wichtigste Erfindung der Lebensmitteltechniker.

Die Würze spritzt der Profi in die Hühnerbrust. So wird sie nicht nur praller, sondern soll auch so schmecken wie frisch vom Rost. Dabei ist das Fleisch noch nicht einmal gegrillt, sondern im Dampfgarer zubereitet. Für das typische Grillmuster sorgen Brenneisen. Guten Appetit.

Fleischgeschmack ohne Fleisch

Erstaunlich: Selbst Sternekoch Frank Buchholz, mit dem Lege für die ZDF-Doku in der Küche werkelte, fand das Fleisch „nicht schlecht“. Vielleicht sind selbst seine Gaumen schon daran gewöhnt. Denn: „Würze ist fast überall dabei, wenn es herzhaft schmecken soll“, erklärt Lege. Der Coup: Würze bringt den typischen Fleischgeschmack ans Essen – obwohl kein Fleisch enthalten ist.

Von herzhaft zu süß: Der Kunde verlangt nach fluffigen Cremes und sahnigen Puddings. Aber Sahne kostet Geld, die Industrie muss also tricksen, um möglichst viel Gewinn zu machen. Dass Sahne gestreckt wird durch Wasser und Magermilchpulver, dürfte niemanden überraschen. Aber wer hätte gedacht, dass Stickstoff in der Sahne ist?

Stickstoff macht aus wenig Masse viel Creme

Ein spezieller Stickstoff für die Lebensmittelindustrie, der nicht mit anderen Stoffen reagiert, pumpt das Volumen der Sahne auf. Resultat: Viel Creme aus wenig Masse. Da klingeln die Kassen der Hersteller. Günstiger Nebeneffekt: Das Produkt wird zudem haltbarer.

So viel Zusatzstoffe im Pudding auch sein mögen: In Brot und Gebäck sind es noch mehr. „In keinem anderen Produkt sind mehr Zusatzstoffe enthalten“, weiß Lebensmitteltechniker Sebastian Lege. Das Problem: Der Kunde bekommt davon oft überhaupt nichts mit. Eine Puddingbrezel zum Beispiel besteht aus 35 Einzelzutaten. Dank der sogenannten Carry-Over-Regelung müssen aber nicht alle Zutaten gekennzeichnet werden, sondern nur die, die im fertigen Produkt wirksam sind. Das heißt: Stoffe, die mit anderen Stoffen reagieren, wie Lecithine etwa, müssen nicht aufgeführt werden. Im Schnitt betrifft das ein Drittel der Zutaten.

Optische Tricksereien

Wie steht es eigentlich um unseren Geschmackssinn? Können wir die Ananas im Joghurt erkennen? Sebastian Lege hat auf einem Wochenmarkt in Düsseldorf den Test gemacht. Die Probanden haben einen Becher Ananas-Joghurt bekommen – allerdings ohne zu wissen, um welchen Geschmack es sich handelt. Mandarine? Zitrone? Nein, Aprikose! Oder doch Mango-Maracuja? 25 Tester haben ihr Glück versucht, keiner hat die Ananas erkannt.

Bei anderen Sorten sah es ähnlich aus: Mango-Orange wurde zu Quitte, Pflaume-Zimt zu Erdbeere. Fazit: Essen wir Joghurt, lassen wir uns von der Verpackung leiten. Wenn Ananas drauf steht, schmecken wir auch die Ananas.

Dieses Prinzip machen sich auch Food-Stylisten zu Nutzen. Die Cola muss im Glas sprudeln, Wassertröpfchen am Glas suggerieren Frische. Das Speiseeis muss schön glänzen und eine typische Riffelung aufweisen. Mit der Realität hat das oft wenig zu tun. Doch der Kunde lässt sich von appetitlichen Bildern auf der Verpackung zum Kauf verleiten.

Sirup in der Apfelschorle

Das ist auch bei Säften und der vor allem bei deutschen Kunden beliebten Apfelschorle so. Knackige Kirschen, vom Sonnenlicht angestrahlte Orangen oder frisch gepflückte Äpfel sind auf den Etiketten abgebildet. Doch wer genau hinsieht entdeckt oft den Hinweis: „Apfelsaft aus Apfelsaftkonzentrat.“ Was ist das überhaupt? „Nichts anderes als eingekochter Sirup“, erklärt der Fachmann. Dadurch wird das Produkt haltbarer – auch durch die Zugabe von zusätzlichem Vitamin C. Und wie schmeckt’s? „Super lecker“, findet Lege.

Der Moderator ist ausgebildeter Koch, hat als Küchenchef und Techniker für die Lebensmittelindustrie gearbeitet. Auch als Produktentwickler hat er sein Geld verdient. Wie genau, zeigt er in der ZDF-Doku: Wie lässt sich mit einer vergleichsweise geringen Investition viel Geld verdienen? Lege möchte Chicken-Nuggets produzieren.

Mogelpackung Chicken-Nuggets

Das Fleisch lässt sich zunächst einmal prima strecken. Phosphat soll die Flüssigkeit im Fleisch halten. Dann entwickelt Lege noch eine kostengünstige Füllung: Frischkäse mit Ananas aus der Dose, dazu Reismehl und Speisestärke. Als Panade wählt er zerbröselte Reisnudeln, die, wenn sie frittiert werden, ein enormes Volumen entwickeln. „Wenig Material, viel Effekt.“ Resultat: Ein halbes Dutzend Hühnchen-Nuggets hat er produziert. Kosten: rund 30 Cent. Im Geschäft würden diese sechs Hühnerhappen 2,99 Euro kosten.

Lege lässt in seiner Doku dazu auch Jürgen Stellpflug, Chefredakteur des Verbrauchermagazins Öko-Test zu Wort kommen: Er spricht bei Chicken-Nuggets von einer „Mogelpackung“. Das Produkt bestehe gerade einmal zu 51 Prozent aus Hähnchenfleisch.

Zwei Indizien sollten stutzig machen

Nicht gut weg kommt auch das Pesto der vergleichsweise teuren Marke Barilla: Unter den Hauptzutaten finden sich Sonnenblumenöl und Cashewkerne. Bei „echtem“ Pesto Genovese müssten es Olivenöl und Pinienkerne sein. Im Erdbeere-Rhabarber-Tee der Firma Teekanne gibt es keine Spuren von echten Früchten, sondern nur Aroma.

Von den Entwicklungen der Lebensmittelindustrie würde der Kunde aber auch profitieren, meint Lege und verweist auf Warenvielfalt und günstige Preise. Und worauf muss der Kunde achten, um keine minderwertigen Produkte in den Einkaufswagen zu legen? Zwei Dinge sollten generell stutzig machen: eine lange Zutatenliste und ein dann doch verdächtig billiger Preis.