Berlin. Köln ist eine Zäsur in der Flüchtlingsdebatte. Die Gäste von Anne Will diskutierten, ob sich die Einstellung im Land verändert hat.

Auch Talkshow-Redaktionen kommen dieser Tage kaum umhin, sich mit der Flüchtlingskrise zu beschäftigen. Das gilt auch für Anne Will, die sich der Thematik auch in ihrer zweiten Sendung auf ihrem neuen-alten Sendeplatz widmete: „Misstrauen, Ängste, Verbote – Kippt die Stimmung gegen Flüchtlinge?“, so lautete die Leitfrage des Talks am Sonntagabend.

Der Hintergrund der Frage ist klar: Die Übergriffe von Köln haben vieles verändert. Von einer Zäsur ist die Rede. Vom Ende der Willkommenskultur. Von einer Kanzlerin, die sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Ist sie also gekippt, die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen? Diese Frage diskutierten der CDU-Politiker Jens Spahn, der Grüne Oberbürgermeister von Freiburg, Dieter Salomon, die Publizistin Anke Domscheit-Berg und der Anwalt und Autor Mehmet Gürcan Daimagüler.

Warum hilft es, Täter-Nationalitäten zu benennen?

Die Fronten waren in der Diskussion schnell geklärt: Auf der einen Seite Spahn und Salomon, die sich dafür aussprachen, die Nationalität von Tätern klar zu benennen. Auf der anderen Seite Domscheit-Berg und Daimagüler, die vor einem Generalverdacht gegen Flüchtlinge und Migranten warnten.

„Wir müssen das benennen, damit insbesondere nach Köln keine Stigmatisierungen stattfinden“ rechtfertigte Oberbürgermeister Salomon seine Mutmaßungen nach dem Clubverbot für Flüchtlinge in Freiburg, wonach junge nordafrikanische Männer das Problem seien. Freiburg sei nach wie vor eine offene Stadt, so Salomon. Zudem habe das Clubverbot für Flüchtlinge nur sehr kurze Zeit gegolten.

Hilfe erhielt er von Spahn, der unterstrich, dass nur durch eine klare Benennung der Nationalitäten verhindert werden könne, dass etwa eine völlig harmlose syrische Familie wegen Übergriffen wie in Köln stigmatisiert werde. Zudem spiele es den Falschen in die Hände, wenn man sich nicht „ehrlich macht“, auch was die Größe der Integrationsaufgabe betreffe.

Die Mittel des Rechtsstaates nutzen

Daimagüler und Domscheit-Berg vertraten dagegen den Standpunkt, dass einfach die Mittel des Rechtsstaates ausgeschöpft werden müssten. „Wir haben hier das gleiche Problem wie immer: Täter müssen identifiziert und bestraft werden“, sagte Domscheit-Berg mit Blick auf sexuelle Übergriffe durch Flüchtlinge und Migranten. Zugleich warnte sie vor einer Überfokussierung auf bestimmte Tätergruppen. In Oldenburg etwa hätte sich wegen eines einzigen sexuellen Übergriffs durch einen Flüchtling gleich eine Bürgerwehr gegründet. „Hier findet eine Instrumentalisierung statt“, sagte die Publizistin.

Daimagüler sah das ähnlich. „Was uns ausmacht, ist die Fähigkeit zur Differenzierung“, sagte der Rechtsanwalt. Der Rechtsstaat definiere sich darüber, dass er Menschen als Individuen und nicht als Teil einer bestimmten Gruppe sehe.

Privatfehde zwischen Daimagüler und Spahn

Eine Freude für den Zuschauer war die kleine Fehde, die Spahn und das frühere FDP-Mitglied Daimagüler austrugen. Ausgangspunkt war Daimagülers Vorwurf, Spahn betreibe eine Pauschalisierung, weil er unterstelle, dass etwa Nordafrikaner ein negatives Bild von Frauen und Homosexuellen nach Deutschland mitbringen würden. Auf dieser Grundlage würden die Menschen isoliert, was die Integration erschwere. „Ich war einfach der Türke, der hier nicht hergehört“, berichtete der Anwalt aus seinen jüngeren Jahren. „Das gehört sich einfach nicht, nicht in einem Rechtsstaat, nicht in Deutschland.“

Spahn wollte von einer Pauschalisierung nichts wissen. „Wir sind nicht ehrlich, wenn wir die kulturellen Unterschiede nicht benennen“, sagte der CDU-Politiker. Natürlich sei beispielsweise ein Afghane völlig überfordert, wenn er aus seiner Gesellschaft nach Deutschland komme. Auch sei es nun mal so, dass bestimmte Gruppen innerhalb der nordafrikanischen Migranten häufiger straffällig würden. „Wenn wir das nicht mal mehr benennen können, wie sollen wir dann dem Problem gerecht werden?“

Das Stichwort „althergebrachtes Frauenbild“ griff schließlich auch Domscheit-Berg auf, indem sie auf die fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter in Deutschland hinwies. „Wir lügen uns in die Tasche, wenn wir so tun, als hätten wir die Gleichberechtigung von Frauen und Männern.“ Ob bei ungleicher Bezahlung, wenigen Führungspositionen für Frauen oder sexualisierte Werbung: „Wir alle bräuchten Kurse, nicht nur die Flüchtlinge“, sagte Domscheit-Berg.

Ein Herz und eine Seele

Bemerkenswert war schließlich auch, dass die gesamte Talkzeit über zwischen Spahn und Salomon das Gegenteil einer Privatfehde bestand. Nicht nur bei der Frage nach den Täter-Nationalitäten, auch sonst waren die beiden ein Herz und eine Seele. Sogar beim heiklen Thema Polizei lagen sich der CDU-Politiker und der Grüne in den Armen: Natürlich sei es an der Zeit, endlich mehr Beamte einzustellen, bemerkten beide einhellig. „Wenn sich Grüne und CDU einig sind, dass wir mehr Polizei brauchen, ist das eine Chance“, freute sich Spahn darüber. Schwarz-grün gelebte Einigkeit – auch dafür war diese insgesamt sehenswerte Ausgabe von „Anne Will“ gut.

Die Ausgabe von „Anne Will“ können Sie in der ARD-Mediathek im Stream ansehen.