Berlin. Der Patient Fernsehen wurde schon für tot erklärt. Doch 2015 bekam er eine Internet-Therapie, die ihm wieder zum Leben verholfen hat.

Immer wieder wurde das Fernsehen für tot erklärt – so auch in diesem Jahr. Die Obduktion wies eine akute Internetinfektion als Todesursache aus. Doch mehrere Zweitmeinungen lassen Zweifel an dem Befund zu. Womöglich war der Patient deutsches Fernsehen im vergangenen Jahr lebendiger als es einige Totengräber sich wünschten. Gemeinsam mit Experten des Grimme-Instituts blicken wir auf die Symptome des kranken Fernsehens.

Symptom 1: Die Menschen beziehen Nachrichten zunehmend über das Internet, nicht über das Fernsehen

Zwar beziehen immer mehr Menschen ihre Nachrichten tatsächlich über Smartphone-Apps, soziale Medien und Nachrichtenportale. Doch von einer Abwanderung zu Ungunsten des Fernsehens kann im Jahr 2015 nicht die Rede sein. Aktuelle Nachrichtensendungen zu den großen Themen des Jahres wie der Flüchtlingskrise oder den Terroranschlägen von Paris erreichten hohe Einschaltquoten. Etwa neun Millionen Zuschauer sahen zum Beispiel die „Tagesschau extra” zu den Anschlägen von Paris Im November. Das vorangegangene Fußballspiel zwischen Deutschland und Frankreich sahen zum Vergleich acht Millionen Zuschauer. Nach Ansicht des Grimme-Institutes, das Entwicklungen im Fernsehen beobachtet, hat das Fernsehen noch immer seine Stärken bei Live-Events. „Denken Sie nur mal an den Fußball oder an Olympia”, sagte Lars Gäßer, Pressesprecher des Instituts im Gespräch mit unserer Redaktion.

Symtpon 2: Junge Zielgruppen erreicht man nur über mobile Geräte oder soziale Netzwerke und nicht über das Fernsehgerät

„Nur weil immer weniger junge Nutzerinnen und Nutzer ein Fernsehgerät besitzen, bedeutet das nicht automatisch, dass sie kein „Fernsehen“ mehr schauen.”, sagt Lucia Eskes, kommissarische Leiterin des Grimme-Preises. Für das Fernsehen produzierte Sendungen erreichen junge Zuschauer demnach auch. Sowohl im Netz wie auch im Fernsehen erfolgreich sind Sendungen, die eine Verzahnung von Internet und Fernsehen hinbekommen. Beispielhaft stand im Jahr 2015 dafür das „Neo Magazin Royale” bei ZDF Neo. Der Moderator Jan Böhmermann und seine Redaktion stellen immer wieder einzelne Videos zur Sendung ins Internet. Die Abrufvideos zum „Neo Magazin Royale“ erreichten von Januar bis einschließlich zum 5. Dezember insgesamt 5,78 Millionen Sichtungen. Viele der Nutzer haben dabei die komplette Sendung im Fernsehen nie gesehen. In der Mediathek des ZDF ist die Show eines der erfolgreichsten Formate.

Symptom 3: Gesellschaftliche Diskussionen werden nicht mehr vom Fernsehen ausgelöst oder behandelt

Das Grimme-Institut hat im vergangenen Jahr beobachtet, inwiefern das Fernsehen noch relevanten Diskussionen ausgelöst hat. „Gut angenommen werden Diskussionsangebote im Netz nach Diskussions- und Informationssendungen, aber auch nach Filmen mit kontroversen Themen.”, analysiert Lucia Eskes vom Grimme-Preis. Auf Nachrichtenportalen zeigt sich, dass Artikel zu politischen Talkshows immer wieder unter den meistgelesenen Texten erscheinen.

Aber nicht nur nachrichtliche Sendungen oder politische Talkshows lösen Debatten aus, sondern auch fiktive Geschichten. „Gelungene Beispiele dafür finden sich 2015 bei Sat. 1, das sich mit „Die Ungehorsame“, einem Film über häusliche Gewalt, etwas getraut hat. Dann die Vox-Serie „Club der roten Bänder“ oder der ARD-Film „Meister des Todes“ über einen Waffenexportskandal”, sagt Eskes.

Dazu gibt es Fernseh-Formate, bei denen die dazugehörigen Diskussionen so eng mit dem Format verwoben sind, dass die Sendung ohne diese gar nicht denkbar wären. Als Beispiel dient hier die „SchleFaZ”-Reihe beim Spartensender Tele 5. Die „Schlechtesten Filmen aller Zeiten” werden von den Moderatoren Oliver Kalkofe und Peter Rütten, vor allem aber von einer großen Fan-Gemeinde auf Facebook und Twitter kommentiert. Die Hashtags zu den Filmen landen regelmäßig unter den meistgenutzten Schlagworten in den sozialen Netzwerken am Tag der Ausstrahlung. Aber auch die Quoten der Sendung sind überdurchschnittlich gut. Die “SchleFaZ”-Filme erreichen regelmäßig mehr als zwei Prozent Marktanteil. Sonst liegt der Anteil des Senders im Gesamtpublikum bei 0,9 Prozent, wie die Internetseite quotenmeter.de berichtet. Mit ihrem Einsatz für Trash-Filme haben es die Moderatoren schließlich auch nach Hollywood geschafft. Im dritten Teil der Kult-Reihe “Sharknado” konnten sie eine Rolle ergattern.

Symptom 4: Gesundes Fernsehen kommt wenn überhaupt aus den USA

Das Fazit für das gesamte Fernsehjahr 2015 fällt Eskes vom Grimme-Preis so: “2015 ist für mich das Serienjahr.” Für viele Kritiker entstand jedoch der Eindruck, dass dies ausschließlich auf amerikanische Serien wie „The Walking Dead” oder „House of Cards” zutrifft. Doch tatsächlich haben auch deutsche Serien Erfolge gefeiert. Die RTL-Sendung „Deutschland 83” wurde in den USA ausgestrahlt mit einem Preis ausgezeichnet, der „Club der roten Bänder” auf Vox ist ein Quotenerfolg. „Bemerkenswert ist für mich vor allem, dass auch Privatsender endlich wieder Mut bewiesen und Geld in große Eigenproduktionen investiert haben”, ergänzt die Leiterin des Grimme-Preises ihr Fazit.

Sympton 5: Neue Stars vermarkten sich auch ohne Fernsehen

Vor allem am Beispiel erfolgreicher YouTuber aus Deutschland zeigt sich, dass es möglich ist, ohne eine Show im linearen Fernsehen mit Video-Inhalten gutes Geld zu verdienen. Moderatoren wie Sami Slimani, Dagi Bee oder LeFloid setzen auf eine Vermarktung ohne einen Anstellungsvertrag bei einem TV-Sender. Bei YouTube können sie eigene Themenschwerpunkte setzen und ganz anders Werbung platzieren als dies im Fernsehen erlaubt ist.

Dennoch bietet das Fernsehen auch für YouTuber mit Millionen von Fans noch eine attraktive Bühne. „Es bietet vor allem eine gesicherte Finanzierung, längere Erzählformate und breitere Anerkennung. Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Die Werbeerlöse sinken im Webvideobereich.”, sagt Lars Gräßer, Sprecher des Grimme-Instituts. In Zukunft könnte der Unterschied bei den Werbeeinnahmen noch größer werden. So strebe Facebook laut Grimme-Institut eine Plattform den Ausbau seines Video-Angebotes an, wobei noch vollkommen unklar ist, wie dort eine Vergütung für die Produzenten aussieht. Bei YouTube verdienen die Protagonisten mit, sobald eine bestimmte Anzahl an Zuschauern auf die Videos klickt.

Diese Menschen arbeiten gegen den Tod des Fernsehens

Immer wieder war das Fernsehen für tot erklärt worden. Wir zeigen Menschen, die das TV wiederbeleben wollen: Jan Böhmermann gilt als einer der innovativsten Fernsehmacher und Moderatoren in Deutschland. Sein „Neo Magazin Royale“ auf ZDF Neo und im ZDF hat zwar relativ geringe Einschaltquoten, mit seinen Beiträgen bestimmt er aber immer wieder die politische und mediale Diskussionen. 2015 behaupten Böhmermann und sein Team, ein Video mit dem damaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis gefälscht zu haben. Varoufakis zeigt dem Zuschauer im Video den Mittelfinger. Es stellt sich raus, dass der Mittelfinger gar nicht gefälscht, sondern tatsächlich so zu sehen war. Als das herauskommt, haben viele Medien aber schon über Böhmermanns vermeintliche Fälschung berichtet. Böhmermann ist im übrigen nicht nur in einem totgesagten Medium aktiv: er moderiert gemeinsam mit dem Musiker Olli Schulz auch eine Radiosendung.
Immer wieder war das Fernsehen für tot erklärt worden. Wir zeigen Menschen, die das TV wiederbeleben wollen: Jan Böhmermann gilt als einer der innovativsten Fernsehmacher und Moderatoren in Deutschland. Sein „Neo Magazin Royale“ auf ZDF Neo und im ZDF hat zwar relativ geringe Einschaltquoten, mit seinen Beiträgen bestimmt er aber immer wieder die politische und mediale Diskussionen. 2015 behaupten Böhmermann und sein Team, ein Video mit dem damaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis gefälscht zu haben. Varoufakis zeigt dem Zuschauer im Video den Mittelfinger. Es stellt sich raus, dass der Mittelfinger gar nicht gefälscht, sondern tatsächlich so zu sehen war. Als das herauskommt, haben viele Medien aber schon über Böhmermanns vermeintliche Fälschung berichtet. Böhmermann ist im übrigen nicht nur in einem totgesagten Medium aktiv: er moderiert gemeinsam mit dem Musiker Olli Schulz auch eine Radiosendung. © ZDF und Ben Knabe | Ben Knabe
Oliver Kalkofe ist Moderator, Komiker und praktizierender Medienkritiker. Auf dem Sender Tele 5 war Kalkofe im Jahr 2015 unter anderem in seiner eigenen Sendung „Kalkofes Mattscheide - Rekalked“ zu sehen. Aber vor allem mit „SchleFaZ“ (Schlechteste Filme aller Zeiten) feiert Kalkofe Erfolge, die sich auch in Quoten niederschlagen. Oliver Kalkofe kommentiert an der Seite von Peter Rütten die misslungenen Werke des Fernsehgeschäfts. Er macht dabei Filme wie die Reihe „Sharknado“ zum Kult, was ihm und Rütten eine Rolle im dritten Teil der Serie einbringt. Der Erfolg von „SchleFaZ“ hat viel mit der Vernetzung von Internet und Fernsehen zu tun. Der Hashtag #SchleFaZ ist regelmäßig unter den meistgenutzten Stichwörtern bei Twitter im deutschsprachigen Raum, da sich viele Nutzer live über die Filme austauschen.
Oliver Kalkofe ist Moderator, Komiker und praktizierender Medienkritiker. Auf dem Sender Tele 5 war Kalkofe im Jahr 2015 unter anderem in seiner eigenen Sendung „Kalkofes Mattscheide - Rekalked“ zu sehen. Aber vor allem mit „SchleFaZ“ (Schlechteste Filme aller Zeiten) feiert Kalkofe Erfolge, die sich auch in Quoten niederschlagen. Oliver Kalkofe kommentiert an der Seite von Peter Rütten die misslungenen Werke des Fernsehgeschäfts. Er macht dabei Filme wie die Reihe „Sharknado“ zum Kult, was ihm und Rütten eine Rolle im dritten Teil der Serie einbringt. Der Erfolg von „SchleFaZ“ hat viel mit der Vernetzung von Internet und Fernsehen zu tun. Der Hashtag #SchleFaZ ist regelmäßig unter den meistgenutzten Stichwörtern bei Twitter im deutschsprachigen Raum, da sich viele Nutzer live über die Filme austauschen. © dpa | Jens Kalaene
Bianca „Bibi“ Heinicke ist eine der erfolgreichsten YouTuberinnen in Deutschland. Auf  ihrem Kanal „Bibis BeautyPalace“ veröffentlicht sie Videos, in denen sie unter anderem ihre Einkäufe bei Drogeriemärkten – so genannte Hauls – präsentiert. Doch Bibi waren Auftritter auf YouTube 2015 nicht mehr genug. So war sie in dem Kinofilm „Kartoffelsalat“ zu sehen. Aber vor allem suchte sie einen Weg ins Fernsehen. In der Casting-Sendung „Popstars“ auf RTL II war sie als Moderatorin zu sehen. Sie berichtete sie über die Arbeit hinter der Bühne und führte Interviews mit den Teilnhemern und Juroren.
Bianca „Bibi“ Heinicke ist eine der erfolgreichsten YouTuberinnen in Deutschland. Auf ihrem Kanal „Bibis BeautyPalace“ veröffentlicht sie Videos, in denen sie unter anderem ihre Einkäufe bei Drogeriemärkten – so genannte Hauls – präsentiert. Doch Bibi waren Auftritter auf YouTube 2015 nicht mehr genug. So war sie in dem Kinofilm „Kartoffelsalat“ zu sehen. Aber vor allem suchte sie einen Weg ins Fernsehen. In der Casting-Sendung „Popstars“ auf RTL II war sie als Moderatorin zu sehen. Sie berichtete sie über die Arbeit hinter der Bühne und führte Interviews mit den Teilnhemern und Juroren. © BM | Photo XP xSchönbergerx xFuturexImage
Die international gefeierte achtteilige RTL-Event-Serie
Die international gefeierte achtteilige RTL-Event-Serie "Deutschland 83" spielt im fiktiven Jahr 1983. Ein Grenzsoldat (Jonas Nay) wird in die Bundesrepublik eingeschleust und soll als Bundeswehrsoldat geheime Dokumente beschaffen. Die Serie wir nach einer Vorstellung auf der Berlinale 2015 von Kritikern aus dem In- und Ausland gefeiert. In den USA ist die Serie auf dem Kabelsender „SundanceTV“ zu sehen. Zwar misst sich der Erfolg nicht an den Quoten der Serie, sie lässt aber Kritiker weitestgehend verstummen, die dem deutschen Fernsehen eine aufwendig produzierte TV-Serie nach amerikanischen Vorbild nicht zutrauten. © RTL / Robert Grischek | RTL / Robert Grischek
Die Schauspieler Danian Hardung (Jonas Till Neumann), Luise Befort (Emma Wolfshagen), Timur Bartels (Alex Breidtbach), Ivo Kortlang (Toni Vogel) und Tim Oliver Schultz (Leo Roland, hinten l-r) und Nick Julius Schuck (Hugo Krüger, vorn) spielen im „Club der roten Bänder“ auf Vox mit. Die Serie wurde nicht nur von Kritikern gelobt, sondern erreichte auch gute Quoten.
Die Schauspieler Danian Hardung (Jonas Till Neumann), Luise Befort (Emma Wolfshagen), Timur Bartels (Alex Breidtbach), Ivo Kortlang (Toni Vogel) und Tim Oliver Schultz (Leo Roland, hinten l-r) und Nick Julius Schuck (Hugo Krüger, vorn) spielen im „Club der roten Bänder“ auf Vox mit. Die Serie wurde nicht nur von Kritikern gelobt, sondern erreichte auch gute Quoten. © dpa | Henning Kaiser
Jan Josef Liefers (links) und Axel Prahl sind die Stars des „Tatort“ aus Münster. Als Kommissar Frank Thiel (Prahl) und Rechtsmediziner Karl-Friedrich Boerne (Liefers) erzielen die beiden die im Durchschnitt besten Quoten aller „Tatort“-Ausgaben – etwa 12,9 Millionen Zuschauer. Auch die anderen Ermittler erzielen ähnlich gute Quoten, keines der Teams liegt im Schnitt unter sieben Millionen Zuschauern.
Jan Josef Liefers (links) und Axel Prahl sind die Stars des „Tatort“ aus Münster. Als Kommissar Frank Thiel (Prahl) und Rechtsmediziner Karl-Friedrich Boerne (Liefers) erzielen die beiden die im Durchschnitt besten Quoten aller „Tatort“-Ausgaben – etwa 12,9 Millionen Zuschauer. Auch die anderen Ermittler erzielen ähnlich gute Quoten, keines der Teams liegt im Schnitt unter sieben Millionen Zuschauern. © dpa | Rolf Vennenbernd
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Und so strebt bereits jetzt die erfolgreichste deutsche YouTuberin Bianca “Bibi” Heinicke ins Fernsehen. In der Casting-Show „Popstars” war sie als Reporterin hinter den Kulissen zu sehen. Zudem führte sie Interviews mit einzelnen Teilnehmern und den Moderatoren.

Behandlungs-Empfehlung:

Beweisen die deutschen Fernsehsender ähnlich viel Mut wie bei einzelnen Serien und gesellschaftlich relevanten Dokumentatioen ins Abendprogramm, dürfen die Zuschauer auch im kommenden Jahr auf interessante Formate hoffen. Erfolgreich scheinen Programme vor allem dann, wenn Sendungen im Netz durch exklusive Inhalte verlängert werden oder in sozialen Netzwerken verbreitet werden. So kann das lineare Fernsehen vom Internet profitieren und umgekehrt auch.

Klar ist aber auch, dass Inhalte nicht immer in beiden Medien kopiert werden können. „Webvideos verfügen über ein eigenes Storytelling, Inhalte werden häufig mit der adressierten Community entwickelt. Gerade jungen Zielgruppen erwarten, eine andere Ansprache und Einbindung.”, sagt Grimme-Sprecher Gräßer. Erfolgreiche Filme und Fernsehsendungen hingegen stammen eher von begabten Autoren und entstehen weniger aus der Internet-Community heraus.