Mainz. Das ZDF ließ Markus Lanz auf die „Menschen 2015“ zurückblicken. Doch der hat seine Chance vertan – und die Sendung versiebt.

Er hat es schon nicht leicht, der Markus Lanz. Was haben ihm Kritiker nicht alles schon vorgeworfen: Er sei der Sargnagel der Samstagabend-Show, der Totengräber der Fernsehunterhaltung. Doch das ZDF scheint das nicht zu interessieren und setzt weiter auf den Südtiroler Sonnyboy – vielleicht in der Hoffnung, dass der Knoten irgendwann platzt und Lanz tatsächlich mal einen Volltreffer landet. Doch er hat seine Chance auch dieses Mal wieder vertan – und den ZDF-Jahresrückblick „Menschen 2015“ versiebt.

Zugegeben: Das Jahr 2015 war kein leichtes. Flüchtlingskrise, Terrorgefahr, der Absturz der Germanwings-Maschine: Themen, die man nicht mal eben abarbeiten kann wie die größten Kinohits des Jahres oder die Nummer-Eins-Hits von Helene Fischer. Doch mit einem gewissen Maß an Sensibilität hätte man die Hürde durchaus nehmen können. Wenn man die Sache allerdings mit dem Feingefühl einer Holzfäller-Axt angeht, fährt man die Kiste gegen die Wand.

„Das Gesicht der Katastrophe“

Warum nur präsentiert man die Mutter eines Germanwings-Opfers direkt nach dem Auftritt von Helene Fischer? Der Jubel der Fans war noch nicht mal verhallt, als sie mit tränenerstickter Stimme erzählte, dass ihr Sohn vor zwei Tagen seinen 17. Geburtstag gefeiert hätte.

Den Schulleiter des Halterner Joseph-König-Gymnasiums, das bei dem Absturz 16 Schüler und zwei Lehrerinnen verloren hat, bezeichnete Lanz kurz darauf als „das Gesicht der Katastrophe“. Welch ein Trost...

Und es wurde noch schlimmer: Die Erzählungen der Germanwings-Hinterbliebenen ließ die Bilder des Unglücks vor dem geistigen Auge wieder erscheinen. Auch die Fotos des Todes-Piloten dürften vielen wieder präsent geworden sein. Das Bild vor der Golden Gate Bridge oder im Sportler-Dress beim Marathon. Was liegt da näher, als die nächsten Gäste anzukündigen: Ausnahme-Sportler Jan Frodeno und Marathon(!)-Läuferin Harriet Thompson. Applaus, Applaus!

„You have bees in the Gesäß“

Harriet Thompson ist 92 Jahre alt. Die alte Dame übersteht ihre rund siebenstündigen Läufe unbeschadet – um im Studio von Markus Lanz dann fast auf die Nase zu fallen. Die Programm-Macher fanden es wohl eine gute Idee, die Seniorin – wie passend – durch ein Zielband laufen zu lassen. Dumm nur, wenn das zur Stolperfalle wird.

Doch bei diesem Strauchler allein blieb es nicht. Leider. Das Gespräch mit der US-Amerikanerin stellte Lanz vor eine große Herausforderung. Denn Harriet Thompson mag keine Knöpfe im Ohr, über die ihr das Gesagte übersetzt wird. Markus Lanz musste also selbst ran. Er stellte seine Fragen erst einmal auf Deutsch – für das deutschsprachige Publikum. Doch Harriet Thompson scheint eine ungeduldige Person zu sein. „In English, please“, bat sie den Moderator. Antwort: „Ja ja, ich erzähl’ gleich.“

Vielleicht zimmern Programm-Macher anderer Sender ja kurz vor Jahresende noch eine neue Show zusammen: „Die peinlichsten TV-Momente 2015“. Markus Lanz käme groß raus. Etwa mit seiner Übersetzung des Ausdrucks „Hummeln im Hintern“: „You have bees in the Gesäß“, sagte er am Donnerstagabend zu Harriet Thompson.

Kurze Kleider und eine Beinahe-Katastrophe

Lanz konnte einem fast leidtun. Denn zu seinem eigenen Unvermögen kam dann auch noch Pech mit den Gästen hinzu. Die Sendung war live. Man hätte Hilly Martinek, Drehbuchautorin des Schweiger-Films „Honig im Kopf“, trotzdem in einem unbeobachteten Moment sagen können, dass man mit einem so kurzen Kleid die Beine vielleicht lieber nicht übereinander schlagen sollte. Das tat aber offenbar niemand. Fraglich, ob sich das Publikum da auf die Gespräche konzentrieren konnte.

Auch bei den Bildern des Jahres mag Lanz unschuldig gewesen sein, die Auswahl und Zusammenstellung lag sicherlich in der Hand der Redaktion. Und auch die zeigte wenig Gefühl: Da huschte noch einmal der tote Flüchtlings-Junge Aylan am Strand der Türkei über den Bildschirm – gefolgt von den spektakulären Aufnahmen eines Wals, der ein Kajak versenkt. Bravo!

Den Beitrag zum Beinahe-Busunglück von Buxtehude versemmelte Markus Lanz dann aber wie gewohnt wieder selbst. Die Bilder haben im September für großes Aufsehen gesorgt: Ein Schulbus steht auf den Gleisen, ein Zug naht heran – und rammt den Bus. Zu Schaden ist damals niemand gekommen, die Schüler hatten den Bus rechtzeitig verlassen. Was machte Lanz damit? Er holte sich einige dieser Schüler ins Studio und ließ sie live vor der Kamera den Vorfall noch einmal nachstellen. An einem Modell. Aus allen möglichen Kameraperspektiven. Doch warum nur? Reichte das Video nicht aus? Der Zuschauer blieb ratlos zurück.

Buh-Rufe aus dem Publikum

Selbst dem Studio-Publikum wurde die Sache offenbar irgendwann zu bunt – und verweigerte Lanz den Applaus. Der Moderator hatte Bahn-Gewerkschafts-Führer Claus Weselsky zu Gast, den Mann, „der das Streikrecht in diesem Jahr voll ausgekostet hat“, stellte Lanz ihn vor. Die ersten Buhrufe hatte es zu diesem Zeitpunkt schon gegeben. Als Lanz seine Zuschauer dann auch noch um Applaus für Weselsky bat, schüttelten die meisten nur ungläubig den Kopf. Einige wenige klatschten verhalten.

Vielleicht hätte einer die Show retten können: Jan Böhmermann. Doch der Auftritt des Moderators des Neo Magazin Royale dauerte nur wenige Minuten. Er durfte noch einmal den Stinkefingerfake-Fake um den ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis aufwärmen – und musste dann wieder gehen. Schade. Hätte lustig werden können.

Doch auch Positives ist zu berichten: Es gab tatsächlich auch Programmpunkte, die Lanz nicht verhunzte. Zum Glück. Denn hätte er sich in den Gesprächen mit dem Flüchtlingsmädchen Nujeen Mustafa, das im Rollstuhl von Kobane aus nach Deutschland geflüchtet ist, oder den Überlebenden des Attentats auf die Pariser Konzerthalle Bataclan daneben benommen, wäre der Fremdschäm-Faktor schier ins Unermessliche gestiegen. Aber vielleicht kriegt er das eines Tages auch noch hin – es sieht nicht so aus, als setze das ZDF nicht auch in Zukunft noch auf Moderator Markus Lanz.

Sehen Sie einzelne Ausschnitte der Sendung noch einmal in der ZDF Mediathek an.