Berlin. Mit der 1559. Folge und einer Live-Sendung feiert die „Lindenstraße“ ihren 30. Geburtstag. Der einstige Quotenhit kämpft um Zuschauer.

Die zeitgenössische Kritik war entsetzt. „Dürftig und schlecht gemacht“, urteilte etwa der Fachdienst „epd / Kirche und Rundfunk“ über die erste Folge der „Lindenstraße“, die am 8. Dezember 1985 ausgestrahlt wurde. Das Blatt rügte die ARD-Serie als „sozialkitsch“ auf handwerklich niedrigem Niveau und prophezeite ihr ein baldiges Ende. Ähnlich fielen damals fast alle Kritiken aus. Doch es kam anders: In diesem Jahr feiert die „Lindenstraße“ am 6. Dezember mit Folge 1.559 ihren 30. Geburtstag.

Die „Lindenstraße“ ist die mit Abstand älteste Dauerserie im deutschen Fernsehen. In ihrer Frühzeit lockte sie mit den Spannung erzeugenden „Cliffhangern“ am Ende jeder Folge mehr als zehn Millionen Zuschauer an. Heute schalten nur noch zweieinhalb bis drei Millionen Menschen ein, wenn am Sonntag um 18.50 Uhr die berühmte, von Jürgen Knieper komponierte Titelmelodie erklingt – mit dem dramatischen Crescendo gleich zu Beginn, das sich dann plötzlich in walzerhaftes Wohlgefallen auflöst.

Highlights aus 30 Jahren Lindenstraße

„Herzlich Willkommen“: In der ersten Folge gibt es vorweihnachtliche Hausmusik bei Familie Beimer (v.l.: Moritz A. Sachs, Joachim Hermann Luger, Marie-Luise Marjan, Ina Bleiweiß, Christian Kahrmann). Mutter Beimer (mit Flöte) und ihr Sohn Klaus (vorne links) sind bis heute mit dabei.
„Herzlich Willkommen“: In der ersten Folge gibt es vorweihnachtliche Hausmusik bei Familie Beimer (v.l.: Moritz A. Sachs, Joachim Hermann Luger, Marie-Luise Marjan, Ina Bleiweiß, Christian Kahrmann). Mutter Beimer (mit Flöte) und ihr Sohn Klaus (vorne links) sind bis heute mit dabei. © dpa | WDR/Engelmeier
Der Erfinder der „Lindenstraße“, Hans W. Geißendörfer, nahm sich die real existierende Lindenstraße in Ummendorf bei Biberach in Oberschwaben zum Vorbild. Die Serie spielt n München, der Drehort aber ist Köln-Bocklemünd.
Der Erfinder der „Lindenstraße“, Hans W. Geißendörfer, nahm sich die real existierende Lindenstraße in Ummendorf bei Biberach in Oberschwaben zum Vorbild. Die Serie spielt n München, der Drehort aber ist Köln-Bocklemünd. © ARD/WDR
Dem sozialkritischen Anspruch ihrer Serie kamen die Macher nach: in Folge 68 geben sich Gerd (Günter Barto) und Carsten (Georg Uecker) den ersten schwulen Kuss im deutschen Fernsehen.
Dem sozialkritischen Anspruch ihrer Serie kamen die Macher nach: in Folge 68 geben sich Gerd (Günter Barto) und Carsten (Georg Uecker) den ersten schwulen Kuss im deutschen Fernsehen. © ARD/WDR
Ebenfalls ein Thema der Serie: Drogenmissbrauch. In Folge 270 fleht Frank (Christoph Wortberg, rechts) Carsten (Georg Uecker) an, ihm den
Ebenfalls ein Thema der Serie: Drogenmissbrauch. In Folge 270 fleht Frank (Christoph Wortberg, rechts) Carsten (Georg Uecker) an, ihm den "goldenen Schuss" zu geben, der Entzug ist härter als erwartet. © ARD/WDR
Auch die Probleme von Arbeitslosigkeit werden aufgegriffen: In Folge 374 macht sich Anna (Irene Fischer) Sorgen um Hans (Joachim Hermann Ludger), der immer noch keinen neuen Job gefunden hat.
Auch die Probleme von Arbeitslosigkeit werden aufgegriffen: In Folge 374 macht sich Anna (Irene Fischer) Sorgen um Hans (Joachim Hermann Ludger), der immer noch keinen neuen Job gefunden hat. © ARD/WDR
Manche Schauspieler sind von ganz klein auf dabei: Sarah (Julia Stark) wird am 22. Oktober 1987 als Tochter von Anna (Irene Fischer) und Friedhelm Ziegler (Arnfried Lerche) in München geboren (Folge 100).
Manche Schauspieler sind von ganz klein auf dabei: Sarah (Julia Stark) wird am 22. Oktober 1987 als Tochter von Anna (Irene Fischer) und Friedhelm Ziegler (Arnfried Lerche) in München geboren (Folge 100). © ARD/WDR
Etwa 23 Jahre später, in Folge 1293, bespricht sie mit ihrer Film-Mutter ihre Sorgen.
Etwa 23 Jahre später, in Folge 1293, bespricht sie mit ihrer Film-Mutter ihre Sorgen. © ARD/WDR
Auch Iffi (Rebecca Siemoneit-Barum) und Klaus Beimer (Moritz A. Sachs) sind, bis auf kurze Unterbrechungen, seit Kindheitstagen mit dabei und lassen die Zuschauer an ihrem Großwerden teilhaben.
Auch Iffi (Rebecca Siemoneit-Barum) und Klaus Beimer (Moritz A. Sachs) sind, bis auf kurze Unterbrechungen, seit Kindheitstagen mit dabei und lassen die Zuschauer an ihrem Großwerden teilhaben. © ARD/WDR
Klaus Beimer (Moritz A. Sachs, rechts) hat eine schwere Phase in seiner Jugend und wendet sich der rechtsextremen Szene zu. In Folge 375 wird er in eine rechtsradikale Vereinigung aufgenommen.
Klaus Beimer (Moritz A. Sachs, rechts) hat eine schwere Phase in seiner Jugend und wendet sich der rechtsextremen Szene zu. In Folge 375 wird er in eine rechtsradikale Vereinigung aufgenommen. © ARD/WDR
Iffi (Rebecca Siemoneit-Barum) verliebt sich derweil in Momo (Moritz Zielke), und ab Folge 441 sind sie stolze Eltern ihres Sohnes Nicolai
Iffi (Rebecca Siemoneit-Barum) verliebt sich derweil in Momo (Moritz Zielke), und ab Folge 441 sind sie stolze Eltern ihres Sohnes Nicolai "Nico" Zenker. © ARD/WDR
Til Schweiger war von Folge 220 bis 294 als Jo Zenker dabei. In Folge 281 schenkt ihm Walze (Nadine Spruß) ein Pazifismus-T-Shirt zum Geburtstag. Nach dem erfolgreichen Kino-Debüt Schweigers mit „Manta, Manta“ verließ er die Lindenstraße.
Til Schweiger war von Folge 220 bis 294 als Jo Zenker dabei. In Folge 281 schenkt ihm Walze (Nadine Spruß) ein Pazifismus-T-Shirt zum Geburtstag. Nach dem erfolgreichen Kino-Debüt Schweigers mit „Manta, Manta“ verließ er die Lindenstraße. © ARD/WDR
Der „Penner Harry“ (Harry Rowohlt, hier zusammen mit  Ludwig Haas und Amorn Surangkanjanajai) spielte über 18 Jahre in der Lindenstraße mit. Der Schauspieler starb erst vor kurzem.
Der „Penner Harry“ (Harry Rowohlt, hier zusammen mit Ludwig Haas und Amorn Surangkanjanajai) spielte über 18 Jahre in der Lindenstraße mit. Der Schauspieler starb erst vor kurzem. © ARD/WDR
Auch legendär: das Restaurant „Akropolis“ der Familie Sarikakis. In der Folge 258 feiern Carsten und Zorro mit Familie Sarikakis (v.l.: Thorsten Nindel, Kostas Papanastasiou, Georg Uecker, Hermes Hodolides und Domna Adamopoulou).
Auch legendär: das Restaurant „Akropolis“ der Familie Sarikakis. In der Folge 258 feiern Carsten und Zorro mit Familie Sarikakis (v.l.: Thorsten Nindel, Kostas Papanastasiou, Georg Uecker, Hermes Hodolides und Domna Adamopoulou). © ARD/WDR
Ebenfalls mit dabei von Beginn an bis heute: Dr. Ludwig Dressler (Ludwig Haas), hier in Folge 1558...
Ebenfalls mit dabei von Beginn an bis heute: Dr. Ludwig Dressler (Ludwig Haas), hier in Folge 1558... © ARD/WDR
...sowie Mutter Beimer (Marie-Luise Marjan, zusammen mit Bill Mockridge).
...sowie Mutter Beimer (Marie-Luise Marjan, zusammen mit Bill Mockridge). © ARD/WDR
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Serie läuft mindestens bis Ende 2016

Die stark gesunkenen Quoten geben immer wieder Gerüchten Nahrung, dass die Serie eingestellt werden könnte. Anfang 2014 beschlossen die Programmdirektoren der ARD, dass die „Lindenstraße“ bis mindestens Ende 2016 weiterlaufen soll. „Wir werden alles tun, dass die ‘Lindenstraße’ spannend und aktuell bleibt“, versprach Erfinder und Produzent Hans W. Geißendörfer (74), dessen Tochter Hana seit einiger Zeit Koproduzentin der Serie ist. Zuvor hatte sie bereits Drehbücher für die „Lindenstraße“ verfasst.

Im Mikrokosmos der fiktiven Straße spielen sich sämtliche großen und kleinen Dramen ab, die das Leben zu bieten hat: Hochzeit und Scheidung, Geburt und Tod, Krankheit, Behinderung, Arbeitslosigkeit, Ehebruch, Vatermord, Verwerfungen durch Krieg oder politischen Extremismus. Im Gegensatz zu den glatten Seifenopern des Privatfernsehens will die „Lindenstraße“ dabei Lebensrealität transportieren und zum Nachdenken über aktuelle politische Themen anregen. Dass dies zuweilen auf recht steife Weise geschieht, ruft immer wieder Spötter auf den Plan.

CSU-Politiker stellte Strafanzeige wegen Beleidigung

Die Serie hat sich im Laufe der Zeit durchaus verändert. Viel stärker als früher arbeiten die Regisseure mit formalen Gestaltungsmitteln, etwa seit der Jahrtausendwende gibt es auch Schauplätze außerhalb des „Lindenstraße“-Areals. Inhaltlich kann sie nicht mehr so provozieren wie in den 80er Jahren, als der CSU-Politiker Peter Gauweiler Strafanzeige wegen Beleidigung stellte – ohne Erfolg. Nachdem Gauweiler gefordert hatte, dass das Bundesseuchengestz auf Aidskranke angewendet wird, nannte ihn die Serienfigur Chris Barnsteg einen Faschisten.

Aber die Serie ist weiterhin für Aufreger gut: Als sich im Sommer 2014 ein Moscheebau in der Lindenstraße abzeichnete, hagelte es Kritik in sozialen Netzwerken. Viele befürchteten eine „Rosarot“-Darstellung des Islam. Auch das kurzzeitige Comeback von Erzbösewicht Robert Engel wurde medial stark beachtet.

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Für das Jubiläum am 6. Dezember haben sich die Macher etwas Besonderes ausgedacht. Die Folge mit dem Titel „Hinter der Tür“ wird eine Livesendung und keine Aufzeichnung sein, sogar die Filmmusik wird live von Musikern eingespielt. Laut WDR-Ankündigung wird die Ausstrahlung multimedial vernetzt sein und von „zahlreichen Gimmicks“ im Internet begleitet. Inhaltlich sei die Folge „voller Emotionen und dramatischer Entwicklungen“, verrät der Sender – ein „langjähriger Nachbar“ aus der Straße werde unerwartet sterben.

„Lindenstraße“ in Zahlen

• 262 Schauspieler waren bislang mit Hauptrollen und 2200 mit Gastrollen unter Vertrag. Etwa 27.000 Komparsen aßen im „Akropolis“, kauften im Supermarkt oder ließen sich im Friseursalon die Haare schneiden. Aktuell gehören 34 erwachsene Schauspieler und neun Kinder zum festen Ensemble.

• In der Serie gab es 31 Hochzeiten und 46 Todesfälle.

19 Schauspieler, die in Hauptrollen mitspielten, sind im Laufe der Serie gestorben. Im Juni starb der Übersetzer und Schriftsteller Harry Rowohlt, der den Penner Harry verkörperte.

• Die Drehbücher der Folgen 1 bis 1559 füllen insgesamt rund 85.000 Seiten. 28 Drehbuchautoren haben mitgewirkt.

• Etwa elf Wochen vor ihrer Ausstrahlung sind die Folgen gedreht und geschnitten. Kurz vor dem Sendetermin werden oft noch Szenen mit aktuellem Bezug eingebaut.

• Die Außenkulisse der „Lindenstraße“ ist 150 Meter lang und befindet sich auf dem WDR-Gelände in Köln-Bocklemünd. Für die Dreharbeiten stehen ständig 100.000 Requisiten zur Verfügung.

• 1995 schalteten im Schnitt 8,7 Millionen TV-Zuschauer sonntagabends die Serie ein. Heute sind es noch durchschnittlich 2,5 Millionen, hinzu kommen Abrufe über Mediathek, Livestream und App. (dpa/epd)